„Wir ‚numerisieren‘ unser gesamtes Leben. Das ist wirklich ein echter Transformationsprozess.“
Wir haben uns mit Ranga Yogeshwar im Futurium in Berlin getroffen, um mit ihm über Künstliche Intelligenz zu sprechen. Was hat KI für Auswirkungen auf die Gesellschaft, auf uns Marketer und die Medienlandschaft?
Herr Yogeshwar, Künstliche Intelligenz beeinflusst spätestens seit Einführung der ersten Smartphones unser Leben gravierend. Welche Veränderungen kommen auf uns zu?
Wenn wir uns vorstellen, wir würden in ein Restaurant gehen, erleben wir gerade den Gruß aus der Küche. Das, was wir sehen, ist noch nicht die Vorspeise, geschweige denn der Hauptgang. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist gepaart mit der Tatsache, dass wir unsere Welt immer mehr in Zahlen abbilden, egal was wir tun. Wir messen nicht nur unseren Blutdruck, die Wegstrecken, die wir zurücklegen, zählen nicht nur die Treppenstufen, die wir täglich steigen. Wir „numerisieren“ unser gesamtes Leben. Das ist wirklich ein echter Transformationsprozess. Aus der Realität, die wir beide jetzt gerade sehen, in eine abstrakte Zahlenwelt. Die spannende Frage ist, ob die Rückführung aus der abstrakten Zahlenwelt in die Realität tatsächlich klappt. Innerhalb der abstrakten Welt funktioniert es ganz gut. Das wissen wir alle: KI gewinnt heute Schach oder Go gegen jeden Menschen. Das sind abstrakte Welten. Wenn ich aber den modernsten KI-Roboter nehme und ich ihn bitte, den Esstisch abzuräumen, dann wird er scheitern. Weil KI zuerst einmal ein Konstrukt in einer idealisierten Welt ist, die aber weit weg von dem ist, was in der Realität abläuft.
Was kann denn Künstliche Intelligenz leisten?
KI verarbeitet unsere Daten und fängt an, uns eine neue Einsicht zu geben. Was wir da erleben werden, kann man schon in Ansätzen erahnen. Zum Beispiel in der Medizin bekommen wir vollkommen neue Diagnose-Möglichkeiten, wo man anhand der Vielzahl der Daten plötzlich sagen kann, dass jemand ein erhöhtes Risiko hat, an der oder der Krankheit zu sterben, wenn er nicht dies oder das ändert.
Ein weiterer Punkt ist, dass die KI uns anschubst zu erkennen, wo wir Menschen gut sind, wie komplex wir sind. Ein einfaches Beispiel: Wenn ich an eine Kreuzung fahre und dort ein Mensch steht, erkenne ich am Gesicht und der Körpersprache, ob er über die Straße gehen will oder nicht. Jedes autonome Fahrzeug bleibt einfach stehen, weil es keine Ahnung hat, was der Mensch machen wird. Bei der Entwicklung von autonomen Fahrzeugen haben wir erkannt, wie komplex wir als Menschen arbeiten und dass wir an vielen Stellen viel mehr machen, als wir denken. Insofern ist KI total spannend, weil sie uns lehrt, wer wir wirklich sind.
Was ist der Unterschied zwischen Mensch und Maschine? Gibt es Dinge, die so inhärent in uns verankert sind, dass eine Maschine das möglicherweise niemals erlernen kann?
Die Welt der Maschinen ist immer eine explizite, eine berechenbare. Ein Apparat muss unter denselben Rahmenbedingungen immer ähnlich funktionieren. Wenn er das nicht tut, ist er kaputt.
Menschen sind aber nicht so, sie verhalten sich anders. Manchmal bezeichnen wir das dann als gutgelaunt oder als schlechtgelaunt. Wir haben Emotionen, können streiten und lachen, eine Maschine kann das nicht.
Aber vielleicht kann man ihr das beibringen?
Nein. Wir Menschen tragen ein Universum an Sinnlichkeit in uns. Wenn eine Künstliche Intelligenz zu mir sagt: ‚Morgen wird es regnen’, dann hat sie keine Ahnung davon, wie Regen riecht oder wie er sich anfühlt. Das sind also im wahrsten Sinne hohle Worte. Sie sind nicht mit sinnlichen Erfahrungen oder Merkmalen befüllt. Wir Menschen wissen, wie sich Regen auf dem Asphalt anhört, wir wissen, dass er im Sommer anders riecht als im Winter. Das ist der große Unterschied.
Durch das, was wir mit unseren Handys machen, was wir auf Google suchen und wie wir uns durch den Tag bewegen, schaffen die Algorithmen uns sog. Filterblasen, in denen wir uns „zuhause fühlen“. Wir lesen nur die Meinungen derer, die sich in eben unserer Blase befinden. Andere Perspektiven nehmen wir nicht mehr wahr. Eine Weltsicht mit Scheuklappen also. Wie wird KI die Medienlandschaft weiterhin verändern?
Zunächst einmal muss man sagen, dass die neue Medienlandschaft im Wesentlichen ein ökonomisches Geschäftsmodell um Aufmerksamkeit ist. Ich spreche auch von Erregungsbewirtschaftung. Das bedeutet, Menschen, die sich in sozialen Netzwerken befinden, Werbung angezeigt bekommen. Das ist das Hauptziel von Facebook und Google usw. Man versucht, den Nutzer möglichst lange im Netz zu halten. Und das erreicht man dadurch, dass man ihm Dinge zeigt, die ihn besonders erregen. Der Algorithmus ist so programmiert, dass er in der Priorität genau die Sachen „nach oben schiebt“, die uns erregen, um noch mehr Daten von uns herunterladen und uns noch länger Werbung zeigen zu können.
Das hat einen Pferdefuß. Warum? Weil wir uns von den Informationen, die nicht korrekt sind oder irgendwie schräg sind, besonders angezogen fühlen. Da gucken wir unweigerlich hin. Eine Untersuchung des MIT (Massachusetts Institute of Technology Anm. d. Red.) für Twitter hat ergeben, dass sich Fake News sechsmal schneller verbreiten als korrekte Nachrichten. Das hat in der Folge natürlich katastrophale Auswirkungen. Da das Geschäftsmodell von Facebook und Co. nur auf Erregung und Aufmerksamkeit guckt, erhalten Fake News eine größere Bühne.
Der wichtige Punkt dabei ist – und den begreifen wir allmählich –, dass Medien in der Demokratie eine besondere Funktion innehaben: Sie sind Grundlage des demokratischen Diskurses, der Kompromisse, des Auslotens. Wenn dieser Dialog gestört wird, hat es zur Folge, dass die Demokratie gestört wird. Wir erleben gerade eine destabilisierende Wirkung dieser auf Erregungswirtschaft basierender Medien.
Die klassischen Medien – Zeitungen, Zeitschriften usw. – hingegen verlieren ihre auf Werbeeinschaltungen basierenden Geschäftsmodelle und können kaum noch überleben. Meine These ist, dass wir, wenn wir nicht aufpassen, in spätestens sieben Jahren die großen Player der klassischen Medien verloren haben. Es gibt kein probates, echt tragfähiges Businessmodell für guten Journalismus – auch online. Die Menschen sind nicht mehr bereit, Geld für Informationen zu bezahlen, wie sie es vor 30 Jahren noch getan haben. Das Internet hat seine Nutzer dahingehend sozialisiert, dass Informationen kostenfrei zu haben sind.
Nochmal zurück zur Filterblase und den Algorithmen. Filterblase 1.0 ist, du suchst bei Google ein Schlauchboot, und dir werden fortan in Werbebannern Schlauchboote gezeigt. 2.0 Der Algorithmus weiß, dass ich Schlauchboote suche, also zeigt er mir Ferienhäuser am Meer. 3.0 Der Algorithmus weiß inzwischen, dass ich seit Jahren ans Meer fahre und bietet mir Alternativen an: Bergwandern und Werbebanner mit Rucksäcken. Wird das so sein?
Dann rede ich von 4.0. Die KI fängt da an wirklich spannend zu werden, wo die Algorithmen berechnen: ‚Was muss ich dir zeigen, um deine Meinung so zu beeinflussen, dass du das Gefühl hast, du musst jetzt in die Berge fahren?‘ Oder: ‚Was muss ich dir zeigen, damit du Partei XYZ wählst?‘ Das ist gefährlich, weil es der Angriff auf deinen freien Willen ist. Wir wissen, dass es funktioniert – Facebook hat entspechende Experimente gemacht. Das bedeutet, dass wir nicht mehr in der Lage sind zu unterscheiden, ob die Entscheidung unser freier Wille, unser Bedürfnis war oder ob wir von jemand anderem dahin beeinflusst wurden. Und das ist hochbrisant, weil es etwas sehr Fundamentales angeht, und das ist die Basis jeder Demokratie: unsere Freiheit.
Ist KI auch in der Lage, uns in Zukunft aus der Filterblase wieder zu befreien? Hat irgendjemand überhaupt Interesse daran? Die Gesellschaft?
KI wird in den Dienst eines ökonomischen Geschäftsmodells gestellt. Facebook ist nicht an Wahrheit, Aufklärung oder fairer Berichterstattung interessiert. Facebook ist nicht journalistisch und will nichts anderes als Werbung verkaufen. Es ist immens wichtig, die Entkoppelung hinzubekommen, d. h. in den nächsten Jahren zu erkennen, dass es in einer funktionierenden Gesellschaft ein paar Bereiche geben muss, die nicht dem ökonomischen Diktat unterliegen dürfen. Und das sind unter anderem die Medien. Sie sind essentiell für eine funktionierende Demokratie.
Welche Bedeutung kommt den Marketing-Abteilungen und Werbeagenturen in Zukunft zu, wenn Algorithmen „wissen“, was wir Verbraucher wollen und wünschen?
Der eindeutige Trend ist Targeting, die Fokussierung auf Zielgruppen, die Fokussierung auf jeden Einzelnen und damit die Spezifität und Selektivität der Werbung. Sie wird komplexer, weil sie manchmal nicht als Werbung erkennbar ist. Die diffuse Grenze zwischen gesuchter Information und subkutan eingespielter Werbung verschwimmt. Wenn es um Politik oder beispielsweise um Gesundheit geht, wird es gefährlich. Wenn wir uns einmal klar machen, dass der Brexit ohne soziale Netzwerke nicht stattgefunden hätte, dann spüren wir die Brisanz. Das klang alles gut – connecting the world – aber wir merken so langsam, dass wir da ein paar gelbe Linien einziehen müssen. An der Stelle bin ich altmodisch, aber auch konsequent: Das Hauptziel muss die Stabilität einer Gesellschaft sein.
Je größer die Datenmenge, desto zielgenauer können zukünftig Konsumenten erreicht werden. Wo bleiben aber die impliziten Markenwerte? Wo bleibt da die Kreativität in der Werbung – die Bedeutung von Kreativität?
Der Mensch hat offenbar Qualitäten, die die Maschine nicht abdeckt. Wenn es darum geht, out of the box zu denken, dann haben wir Menschen einen Vorteil. Maschinen scheitern immer dann, wenn außerhalb ihres Datenraums gedacht werden soll. Der Moment der Singularität, also der Moment, wo die Maschine tatsächlich autonom und aktiv neue Gedanken umsetzt, wäre ein solcher, wo Kreativität entstünde. Die spannende Frage dahinter ist die nach dem Motiv: Warum sollte die Maschine das tun? Wir Menschen haben ein biologisch sehr verankertes sinnliches Motiv für kreative Leistungen.
Wir leben mehr und mehr in einer digitalen Welt, wo reales Erleben und das Begreifen von impliziten Werten in den Hintergrund geraten. Dem haptischen Erleben, ein Magazin, eine hochwertige Broschüre oder einen Bildband in der Hand zu halten, wird aktuell weniger Wert zugemessen.
Meine Großmutter hatte eine Druckerei in Luxemburg. Dort habe ich als Jugendlicher gern gearbeitet. Was für eine Entwicklung vom Bleisatz, von Linotypes und von Typen, die man fühlen konnte und wo man noch wusste, wie ein Durchschuss klingt: das war ein besonderes Geräusch, wenn man die kleinen Platten reingeworfen hat. Vom haptischen Fühlen, vom Satzbild, vom Druck im wahrsten Sinne hin zu einer Welt, die heute digital abläuft und deren Freiheitsgrad nur noch die Mausbewegung ist. Den Heidelberger Tiegel kann ich bedienen, ich weiß wie’s geht. Ich weiß, was HKS 42 ist. All diese Schönheit einer Zunft – der Geruch der Farben, der Klang des Papiers – ist eine Welt, die sehr viel Intelligenz beinhaltet. Und nur weil das auf den ersten Blick auch digital funktioniert, fehlt doch etwas.
Herr Yogeshwar, vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Gespräch erschien in der Sommerausgabe der Passion, dem Kundenmagazin von BerlinDruck.
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