Heute ist Internationaler Tag der Pressefreiheit. Mit diesem Tag wird seit 1994 jährlich am 3. Mai auf Verletzungen der Pressefreiheit sowie auf die grundlegende Bedeutung freier Berichterstattung für die Existenz von Demokratien aufmerksam gemacht. Wir haben Christian Mihr, den Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen getroffen und ihn um eine aktuelle Einschätzung gebeten.
Herr Mihr, Haltung zu zeigen und seine Meinung zu sagen, wird zunehmend schwieriger. Wir leben in Zeiten von Besorgnisdemonstrationen und Cancel Culture. Journalist*innen haben auch in Deutschland vermehrt mit tätlichen Übergriffen zu tun. Beunruhigt Sie die aktuelle Entwicklung?
Wenn wir in Deutschland jammern, dann jammern wir auf hohem Niveau. Man neigt ja oft dazu, zu denken – wenn man vor seine eigene Haustür schaut –, alles sei schlimm. Damit möchte ich das, was vor unserer Haustür passiert, nicht relativieren, aber es hilft immer, einen globalen Blick einzunehmen. Reporter ohne Grenzen ist eine weltweit tätige Organisation. Wir sehen in unserer Rangliste der Pressefreiheit, die wir jedes Jahr unter anderem anhand von Befragungen von Hunderten Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Jurist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen weltweit sowie unserem eigenen Korrespondentennetzwerk erstellen, eine weltweite Verschlechterung der Pressefreiheit – gerade auch in Demokratien wie den USA oder den EU-Ländern Ungarn und Polen. Das ist etwas, das wir mit Sorge betrachten.
Aber wenn wir mal konkret nach Deutschland schauen, dann ist diese Entwicklung seit 2013 mit dem Entstehen der AfD und seit 2015 mit dem Aufkommen von Pegida zu beobachten. Wir stellen eine Zunahme von offener, auch physischer Gewalt gegen Journalist*innen in Deutschland fest. Auf Kundgebungen von Pegida und der AfD sowie neonazistischen Kundgebungen, alle zunächst mit Schwerpunkten in Sachsen und Nordrhein-Westfalen, hat sich die Situation verschärft.
Warum ist das so?
Zum einen sehen wir eine gesellschaftliche Entwicklung mit Polarisierungen und Verschärfungen. Journalist*innen, die darüber berichten, die eigentlich nur abbilden oder spiegeln, was in der Gesellschaft passiert, werden zu Opfern. Auf der anderen Seite haben wir die sozialen Medien, in denen der Hass auf Journalist*innen geäußert wird. Den gab es übrigens immer schon, er wird nur durch die Echokammern sichtbar und kann sich Bahn brechen. Das ist einerseits beruhigend, andererseits beunruhigend.
Gibt es dazu wissenschaftliche Erkenntnisse?
Ja, es gibt sowohl in Deutschland, aber auch weltweit Studien zum Medienvertrauen – über einen Zeitraum von 30 Jahren. Wenn man da einmal reinschaut, erkennt man zwei Dinge. In Demokratien, also auch in Deutschland, gab und gibt es immer einen Sockel von 20–30 % der Menschen, die Misstrauen gegenüber den Medien empfinden. Da verändert sich wenig. Gleichlaufend erkennt man zweitens, dass in Diktaturen dieser Sockel interessanterweise deutlich niedriger ist. Wir erkennen ein viel höheres Vertrauen in und größere Erwartungen an die Medien. – Was heißt das? Eine gewisse gesunde Portion Misstrauen in Medien ist auch Indiz für eine gesunde Demokratie. In einer gefestigten Demokratie haben wir eine größere Medienvielfalt und damit mehr unterschiedliche Meinungen. Das führt naturgemäß zu mehr Zweifeln an dem, was Journalist*innen schreiben. In Diktaturen dagegen gibt es keine Meinungsvielfalt, gleichzeitig aber viel größere Erwartungen an die Medien.
Skepsis gegenüber Medien ist das eine, vermehrt tätliche Übergriffe gegenüber Journalist*innen das andere. Diese Entwicklung, finde ich, ist besorgniserregend.
Auf jeden Fall! Es ist ein klares Wachstum in den vergangenen Jahren festzustellen, das sollte man nicht kleinreden. …
Auch der psychische Druck auf die Journalist*innen muss enorm sein, wenn von Lügenpresse die Rede ist.
Journalismus war neben Politik schon immer ein unbeliebtes Berufsfeld. Was Journalist*innen einstmals für die Tageszeitung geschrieben haben, wurde in Leserbriefen kritisiert. Die Briefe brauchten einige Tage. – Was heute anders ist, ist die Unmittelbarkeit der Kritik durch die Social-Media-Kanäle.
Ich beobachte weniger einen psychischen Druck, eher einen gewachsenen Selbstzweifel. Das muss nicht falsch sein. Wenn Selbstzweifel dazu führen, dass man an der einen oder anderen Stelle sorgfältiger arbeitet, dann ist das etwas Produktives. Wenn es allerdings dazu führt, dass man an der grundsätzlich wichtigen gesellschaftlichen Funktion seines Tuns zweifelt, dann ist das ein Problem.
Könnte eine Reaktion sein, dass ich mich in meiner Verunsicherung als Journalist*in selbst beschränke?
Ich bin immer skeptisch, wenn es heißt, es würden bestimmte Themen nicht mehr vorkommen. Dazu haben wir eine viel zu große Medienvielfalt. Dass Verunsicherung dazu führt, dass die oder der eine oder andere freie Journalist*in Themen nicht mehr anpackt und bringt, weil sie meinen, über ihre Existenz nachdenken zu müssen, bleibt die Ausnahme.
Welche Möglichkeiten haben Sie als Reporter ohne Grenzen, Einfluss zu nehmen?
Die Öffentlichkeit ist unser Druckmittel. Da habe ich auch ein griffiges Beispiel: Vorletztes Jahr war ich mit ein paar Kolleg*innen in Saudi-Arabien, in der Rangliste auf Platz 170 von 180. Wir haben lange diskutiert, ob das sinnvoll ist, in eine absolutistische brutale Monarchie zu reisen, und was wir erwarten können. Ein Land, das den Exil-Journalisten Jamal Khashoggi im Ausland ermorden ließ und weitere 32 inhaftierte. Das Menschen kreuzigt und auspeitscht … Wir haben uns dafür entschieden und trafen uns mit dem Außenminister, dem Justizminister, dem Religionsminister, mit dem Generalstaatsanwalt, der die Ermittlungen im Fall Khashoggi geführt hat. In fast allen Gesprächen – und damit komme ich auf den öffentlichen Druck zu sprechen – war die naiv scheinende Frage, was denn Saudi-Arabien tun könne, um sich in der Rangliste der Pressefreiheit zu verbessern. Das ist das, was wir machen können: Wir können öffentlichen Druck aufbauen. Der südkoreanische Präsident Moon Jae-in hat 2017 zum Amtsantritt gesagt, er möchte, dass sich sein Land in der Rangliste der Pressefreiheit verbessert. (Anm. d. Red.: 42. Rang heute, 63. Rang 2017)
Und wie sieht es aus, wenn es um Pressefreiheit in Deutschland geht?
Es gibt auch Dinge, die wir hier kritisieren, zum Beispiel die Medienkonzentration. Die Bundesregierung redet natürlich mit uns als Organisation lieber über Probleme der Pressefreiheit in anderen Ländern und nicht über Probleme der Pressefreiheit in Deutschland.
Herr Mihr, vielen Dank für dieses Gespräch.
Schreibe einen Kommentar