Hanni Münzer begann ihre Schriftstellerkarriere nicht durch einen bewussten Entschluss. In einem bewegenden Interview erzählt sie uns von ihrem ersten Buch, ihrer überraschenden Reise zum Bestseller „Honigtot“ und den historischen Stoffen, die ihre Romane prägen. Besonders beeindruckend ist ihre Fähigkeit, historische Ereignisse subtil in ihre Erzählungen einzubinden und den Leser gleichzeitig zu berühren und aufzuklären.
Hanni Münzer spricht offen über die Herausforderungen des Schriftstellerlebens, die Bedeutung von Liebe und Mitgefühl in ihren Geschichten sowie ihre Beobachtungen zur aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung. Dabei wird deutlich, dass ihre Romane weit mehr als nur Unterhaltung bieten – sie sind ein Plädoyer für den Frieden und die Menschlichkeit. Ihre Geschichten, die oft in den 1920er- und 1930er-Jahren spielen, laden uns ein, nicht nur in vergangene Zeiten einzutauchen, sondern auch Parallelen zur Gegenwart zu ziehen und daraus zu lernen.
Hanni, wie bist du zum Schreiben gekommen?
Ich glaube, kaum jemand trifft die bewusste Entscheidung, Schriftsteller:in zu werden. Es ist eher ein schleichender Prozess. Grundlage ist, dass man gelesen werden möchte; solange man ausschließlich für sich selbst schreibt, handelt es sich eher um Tagebuchschreiben.
Zum Spaß sage ich oft, dass ich reich und berühmt werden wollte, aber in Wahrheit befand ich mich vor etwa 25 Jahren an einem beruflichen Scheideweg. Ich stellte mir die Frage, wo ich mich in den nächsten 25 Jahren sehen möchte. Will ich mich lediglich dem Gärtnern, meiner Familie, dem Haus und meinem Hund widmen? Mein damaliger Beruf war äußerst spannend, doch das EU-Projekt, an dem ich arbeitete, wurde eingestellt.
In dieser Zeit beschloss ich, eine kleine Kindergeschichte für meine Nichte zu schreiben. Es machte mir Freude, Fantasiegeschichten zu erfinden. Meine Schwester, die Literatur studierte, fand meine Erzählung großartig und ermutigte mich, es einmal mit einem Roman zu versuchen.
Was war dein erstes Buch?
Das war 2003 der Thriller „Die Seelenfischer“. Ich hatte das Glück, damals bei Sixt zu arbeiten und darüber Andrea Sixt kennenzulernen. Sie war eine erfolgreiche Autorin und Produzentin. Es hat drei Jahre gedauert, bis ich mich traute sie zu fragen, ob sie sich mein Exposé ansehen könnte. Das tat sie und empfahl mich der Verlagsagentur Lianne Kolf. Lianne nahm mich auf, coachte mich, konnte das Buch aber nicht verkaufen. Es wanderte in die Schublade – bis Ende 2012. Zwischenzeitlich begann ich schon die Arbeit am späteren Bestseller „Honigtot“.
Wie lief es denn mit „Die Seelenfischer“?
Lianne sagte mir, dass es schwierig sei, eine deutsche Thriller-Autorin zu etablieren. Darauf bot ich ihr das historische „Honigtot“ an, doch es wurde wegen des sensiblen jüdischen Themas abgelehnt.
2013 hörte ich von Kindle Direct Publishing und lud „Die Seelenfischer“ selbst bei Amazon hoch. Zunächst passierte nichts. Dann bot ich das Buch für drei Tage kostenlos an – eine Aktion, die es heute nicht mehr gibt –, und es wurde plötzlich 10 000-mal heruntergeladen.
Was passierte danach?
Die geheimen Algorithmen von Amazon pushten mein e-book-Buch plötzlich in die Verkaufscharts, als ich einen Preis von 3 Euro ansetzte. Es hielt sich drei Monate an der Spitze. Noch vor Dan Brown. Das war der Durchbruch. Kurz darauf lud ich „Das Hexenkreuz“ hoch und war mit beiden Büchern auf Platz eins und zwei. Der Europachef von Kindle rief mich an. Dann kam der Piper Verlag auf mich zu, und das Universum explodierte. Es war immer mein Traum, in Buchhandlungen vertreten zu sein.
Wie war die Zusammenarbeit mit Piper?
Fantastisch! Julia Eisele und ich verstanden uns auf Anhieb und sind bis heute befreundet. Piper brachte mich in die Buchhandlungen, und es war toll, meine Bücher dort zu sehen.
In deinen Sagas begleiten wir häufig Familien aus den 1920er- und 1930er-Jahren sowie während des Dritten Reiches. Du beschreibst eindrucksvoll das Leid, das unter diesen Unrechtsstaaten herrschte. Worum geht es in deinen Büchern, insbesondere in den drei erschienenen „Honig“-Romanen und „Honigstaat“, der nun veröffentlicht wird? Welche Geschichten werden darin erzählt?
Meine neue Saga, „Honigland“ und „Honigstaat“, entführt uns ins Jahr 1928 auf einen Gutshof nahe Stettin und folgt den ungleichen Freundinnen Daisy und Mitzi auf ihrem Weg nach Paris und Berlin. Es ist eine Geschichte über ihren Kampf um Liebe und Freiheit.
Die unangepasste Daisy von Tessendorf träumt nicht von einem Leben an der Seite eines adeligen Ehemannes, sondern möchte ihren eigenen Weg finden. Ihre Freundin Mitzi, ein selbstbewusstes Küchenmädchen, hat klare Ziele: Sie will in Berlin als Künstlerin erfolgreich sein. Doch die politischen Schatten, die über Europa ziehen, bringen ihr Leben aus der Bahn. 1933 muss Daisy sich ein unabhängiges Leben aufbauen und arbeitet als Assistentin für Albert Speer. Als Mitzi in eine tödliche Intrige verwickelt wird, nutzt Daisy ihre Position, um ihre Freundin zu retten. Es ist eine Erzählung über die Stärke der Frauen, Liebe, Obsession, Schuld und Sühne sowie Verrat und Rache.
Es liegt mir nicht daran, Grauen oder Kriegsgräuel im Detail zu schildern, sondern die Anfänge des Dritten Reichs zu beleuchten, insbesondere jüdische Schicksale aus der Perspektive von Frauen und Kindern. Dies bildet den roten Faden meiner Erzählungen – eine Art Aufklärung. Die Veränderungen ab 1933 geschahen nicht alle über Nacht, teilweise war es ein schleichender Prozess, der schon 1918 in der Weimarer Republik einsetzte, vergleichbar mit einer Schraube, die nach und nach fester gedreht wurde. Ich möchte aufzeigen, wie dieser Prozess verlief, denn wie das Dritte Reich geendet hat, ist uns allen bekannt. Im Grunde genommen sind meine Bücher Plädoyers für den Frieden. Krieg ist verheerend, irrational und dumm, denn am Ende gibt es nur Verlierer. Krieg ist ein Armutszeugnis; Frieden ist die höchste Evolutionsstufe des Menschen.
In der Regel wollen Frauen keinen Krieg, sie opfern ihre Söhne, ihre Männer, ihre Brüder. Wie kommt es, dass Männer immer wieder Uniformen anlegen, in den Krieg ziehen und Befehlen folgen, die letztlich zu ihrem eigenen Untergang führen?
Wir Frauen haben es in der Hand, wir sind in jedem Haus! Nutzen wir unseren Einfluss und sorgen dafür, alte Fehler nicht zu wiederholen. Stellen wir uns gegen den Krieg! Mit meinen Büchern möchte ich meinen eigenen bescheidenen Beitrag dazu leisten. Jede Einzelne und jeder Einzelner! kann etwas bewirken, trotzdem man oft das Gefühl hat, machtlos zu sein.
Was ich an deinen Büchern besonders faszinierend finde, ist die subtile Art, wie historische Veränderungen im Hintergrund inszeniert werden. Das aufkommende Dritte Reich wird nicht als zentrale Handlung präsentiert, sondern fungiert vielmehr als Passepartout, in dem sich deine Erzählung entfaltet. Doch dieses Passepartout gewinnt zunehmend an Übermacht. Du hilfst uns, dass wir uns in diese komplexe Lebenssituation hineindenken und reflektieren können. Auch wir führen gegenwärtig unser tägliches Leben, während im Hintergrund bereits besorgniserregende Entwicklungen stattfinden.
Absolut! Alles – auch geschichtliche Zusammenhänge – wird durch Emotionen vermittelt. Im Kern dreht sich alles in der gesamten Literatur- und Musikgeschichte um Emotionen, insbesondere um die Liebe. Ich bin überzeugt, dass Menschen, die hassen, oft nicht wissen, was Liebe wirklich bedeutet; Hass ist letztlich die Abwesenheit von Liebe. Bedauerlicherweise schüren viele Religionen diesen Hass, indem sie eine Kluft zwischen Gläubigen und Ungläubigen schaffen. Ich identifiziere mich nicht als Christin im Sinne des Katholizismus, doch das, was Jesus anstrebte – das Königreich in sich selbst zu finden – ist im Wesentlichen das Königreich der Liebe. Dies ist die Botschaft, die ich in meinen Romanen zu vermitteln versuche, denn Liebe ist das Einzige, was diese Welt heilen kann.
Wenn du schreibst, tauchst du ganz tief in deine Geschichten ein – was ich mir sehr gut vorstellen kann. Begleiten dich dann nach Abschluss des Erzählens deine Protagonistinnen auch weiterhin? Fühlst du dich manchmal geneigt, mit Elisabeth, Deborah, Marlene, Daisy oder Mitzi Gespräche zu führen?
Ich würde nie zugeben, dass ich tatsächlich Gespräche mit meinen Protagonistinnen führe (zwinkert), doch auf gewisse Weise repräsentieren sie Anteile meiner Seele. Ich habe sie mit all ihren Emotionen, Fähigkeiten und Erfahrungen erschaffen, und daher fühle ich eine enge Verbundenheit zu ihnen.
Wem ähnelst du am meisten?
In mir steckt sicherlich ein Stück Daisy (lacht). In unserem Leben gibt es Phasen, in denen wir verschiedene Aspekte unserer Persönlichkeit entdecken. Daisy symbolisiert zum einen das Ringen um Entscheidungen, gefolgt von einer Phase der Reflexion. Zum anderen handelt sie oft auch impulsiv. Manchmal muss man auf sein Bauchgefühl hören. Letztlich prägen Entscheidungen unsere Identität, wer wir sind und was wir sein wollen.
Gleichzeitig tragen wir auch den Ballast unserer Erfahrungen mit uns. Ich betrachte sie als eine Art Gepäck, das wir im Laufe unseres Lebens ansammeln. Das Leben ist komplex, und wir sind keine Inseln; wir leben umgeben von Menschen, die Teil unseres eigenen kleinen Universums sind, für die wir ebenfalls Verantwortung tragen.
Und wenn du schreibst, empfindest du dann auch den Schmerz und die Angst deiner Figuren oder deren Mut?
Ich bin definitiv eine sehr emotionale Person, nah am Wasser gebaut und tauche tief in die Gefühlswelten meiner Charaktere ein. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich schreibe: um diese Emotionen zu transportieren und auszudrücken. Diese emotionalen Erfahrungen sind ein Teil von mir.
Du sagst, dass es beim Schreiben von Geschichten immer um die Liebe geht und Emotionen im Mittelpunkt stehen, da sie unser Leben maßgeblich prägen. Krimis, Thriller und Liebesgeschichten spielen oft in der Gegenwart. War die Idee, historische Romane zu schreiben, eine bewusste Marketingentscheidung oder steckt da mehr dahinter?
Was du ansprichst, ist der kreative Funke, und dieser ist oft schwer zu erklären. Woher kommt eine Idee? In meinem Fall folgte ich meinem Instinkt. Ich beginne meine Geschichten ohne einen festen Plan. Ich schreibe kein Exposé; ich lasse die Geschichte organisch entstehen und folge dem, was sich aus dem Schreibprozess heraus entwickelt.
Und warum spielen deine Geschichten vor 100 Jahren?
Das ist tatsächlich eine interessante Frage. Obwohl man Zusammenhänge vielleicht nicht sofort erkennt, gibt es Begegnungen im Leben, die uns tief prägen.
Mit Sechzehn ging ich nach Amerika, um eine High School zu besuchen. Dort lernte ich über meine Tante die Ärztin Irene kennen, und wir freundeten uns an. Damals mit sechzehn interessierte ich mich noch nicht besonders für die Lebensgeschichten anderer; man nimmt die Menschen einfach so, wie sie sind.
Ende der Achtziger erhielt ich einen Anruf von Irene aus den USA, die nach Deutschland kommen wollte und mich bat, sie am Flughafen abzuholen. Sie erzählte mir, dass sie es erneut mit ihrem früheren Verlobten versuchen wolle. Es stellte sich heraus, dass ihr Ex-Verlobter Egon Hanfstaengl hieß.
Hanfstaengl sagte mir etwas: Egon Hanfstaengls Vater, Ernst „Putzi“ Hanfstaengl, war nach dem Abitur 1909 in die USA ausgewandert, wo er an der Eliteuniversität Harvard studierte. Er leitete einen Kunstbuchladen, in dem er seine spätere Frau Helene kennengelernt hatte. Helene und Ernst kehrten später nach Deutschland zurück. In München lernte Ernst Hanfstaengl 1922 einen gewissen Adolf Hitler kennen. Hanfstaengl unterstützte Hitler fortan dabei, Kontakte zur gehobenen Gesellschaft zu knüpfen. Er war Hitlers „Auslandspressesprecher“ oder Marketingchef, wie man heute sagen würde. Er stand ihm auch während des Putsches zur Seite. Gerüchten nach sei seine Frau Helene Hanfstaengl die heimliche große Liebe Adolf Hitlers gewesen.
Nach der Fahrt vom Flughafen fand ich mich schließlich in der Villa Tiefland in Bogenhausen wieder, wo Adolf Hitler 1924 nach seiner Entlassung aus der Festung Landsberg Weihnachten mit der Familie Hanfstaengl gefeiert hatte. Als ich das Wohnzimmer der Villa betrat, war ich geschockt von der Atmosphäre – Hakenkreuzfahnen lagen auf dem Tisch, dazu zahlreiche Devotionalien aus der Zeit des Dritten Reiches. Nun erfuhr ich, dass Egon, der Sohn von Ernst Hanfstaengl, zudem der Patensohn von Adolf Hitler war.
Während Irene ihre Koffer auspackte, saß ich mit Egon Hanfstaengl am Tisch, und er sprach über seine Vergangenheit – denn er plante, ein Buch über Hitler zu schreiben. Ich verbrachte den ganzen Nachmittag dort und hörte seinen Erzählungen zu.
Wurde das Buch von Egon Hanfstaengl veröffentlicht?
Nein, er starb vor der Fertigstellung. Sein Vater Ernst hingegen schrieb ein Werk mit dem Titel „Zwischen Weißem und Braunem Haus. Memoiren eines politischen Außenseiters“. Er floh 1936 aus Deutschland, nachdem er sich mit Hitler überworfen hatte. Zunächst suchte er Zuflucht in der Schweiz und später ging er nach England. Egon Hanfstaengl hingegen floh nach Amerika und nahm acht Jahre später als GI am D-Day in der Normandie teil.
Ernst Hanfstaengl wurde zunächst als Deutscher in London, später in Schottland interniert. Er erinnerte sich, dass er mit Roosevelts Sohn in Harvard studiert hatte und schrieb Briefe, die dazu führten, dass Eleanor Roosevelt sich für ihn einsetzte. Er wurde nach Amerika eingeflogen und fungierte fortan als früher Hitler-Vertrauter und Kenner als Berater Roosevelts. Eine ungewöhnliche Karriere.
In der heutigen Zeit beobachten wir in Deutschland und vielen anderen Teilen der Welt einen Anstieg von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Du hast viel für deine Romane recherchiert. Glaubst du, dass es Parallelen zwischen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung und der Zeit der Weimarer Republik gibt?
Ich bin mir nicht sicher, ob man die aktuellen Entwicklungen direkt mit der Weimarer Republik vergleichen kann. Ich bin keine Historikerin, aber ich sehe Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als Symptome tieferliegender gesellschaftlicher Probleme. Es ist wichtig, die Ursachen hinter diesen Phänomenen zu hinterfragen. Wie kommt es zu diesen extremen Ansichten und Bewegungen?
Ein Beispiel, das mir in den Sinn kommt, ist die Wahl von Trump, die meiner Meinung nach auch ein Symptom für den Niedergang Amerikas seit den 1980er Jahren ist, als viele Arbeitsplätze in der Stahlindustrie nach China abwanderten. Extreme Positionen entstehen oft als Reaktion auf Armut, Perspektivlosigkeit und gesellschaftliche Unsicherheiten. Wenn Menschen unter wirtschaftlicher Not leiden, sind sie anfälliger für populistische und extremistische Ansichten, die ihnen eine vermeintlich einfache Lösung bieten.
Die Weimarer Republik war eine Demokratie, die von Anfang an vor enormen Herausforderungen stand, wie etwa den wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkriegs, wiederholten Inflationserfahrungen und die negativen Auswirkungen der beginnenden Industrialisierung. Die Ängste der Bevölkerung, insbesondere die Furcht vor dem stalinistischen Kommunismus, schufen ebenfalls einen fruchtbaren Boden für extremistische Bewegungen. Die Mehrheit der damaligen Gesellschaft war nicht bereit für die Demokratie, was zu einer Vielzahl von gewaltsamen Auseinandersetzungen führte, oft auch finanziert von ausländischen Kräften, die ein Interesse daran hatten, die junge Demokratie zu destabilisieren.
Doch ich glaube, dass die heutige Gesellschaft im Vergleich zu damals aufgeklärter ist, auch weil sie Zugang zu Informationen hat. Das stimmt mich hoffnungsvoll. Dennoch treibt mich die Sorge vor extremen Positionen um, denn Gewalt kann niemals eine Lösung sein, egal von welcher Seite sie kommt. Leider sind es oft die Extremisten, die die Oberhand gewinnen, während die gemäßigten Stimmen sich zurückziehen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist Aufklärung entscheidend. In Schulen sollte Ethik einen größeren Raum einnehmen, um Kinder für soziale Verantwortung und gemeinschaftliches Zusammenleben zu sensibilisieren. Praktische Erfahrungen, wie etwa soziale Einsätze, könnten das Bewusstsein der Kinder für gesellschaftliche Herausforderungen schärfen.
Ich habe das Gefühl, dass wir gegenwärtig nicht über den erforderlichen zeitlichen Spielraum für eine umfassende Bildung verfügen. Wenn ich mir die Äußerungen von einigen AfD-Politiker:innen anhöre, muss ich feststellen, dass viele von ihnen durchaus eine gewisse Bildung genossen haben und dennoch Fakten so geschickt umformen, dass sie ihnen passen. Aufklärung allein reicht momentan nicht aus. Dazu scheint es mir, als ob die Entwicklungen zu rasant voranschreiten.
Ja, es könnte sein, dass wir in der Aufklärungsarbeit bereits zu spät dran sind, und seien wir ehrlich, es sind unserer Versäumnisse. Die AfD wurde erst 2013 gegründet, als Migration noch kein Wahlkampfthema war und sie sollte in diesem Zusammenhang eher als Symptom, denn als Ursache gesellschaftlicher Probleme betrachtet werden. Viele Menschen, insbesondere in städtischen Gebieten, haben offenbar in den letzten Jahren ihr Sicherheitsgefühl verloren. Solche Wahrnehmungen beeinflussen das Wahlverhalten; wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Sicherheitsbedürfnisse nicht ernst genommen werden, wenden sie sich möglicherweise von etablierten Parteien wie der SPD ab, die traditionell für soziale Gerechtigkeit stehen. Das Sicherheitsbedürfnis ist ein elementares Gefühl, ich kenne niemanden, der sein Auto auf dem Parkplatz nicht absperrt oder nachts sein Haus. Ich halte es nicht für hilfreich, wenn Parteien die Sorgen ihrer Wähler nicht ernstnehmen und sie stattdessen als „besorgte Bürger“ verunglimpfen und sie nach Dunkeldeutschland verorten. Ich möchte daran erinnern, dass wir während der Corona-Pandemie augenscheinlich eine sehr besorgte Regierung hatten.
Die Herausforderung der etablierten Parteienlandschaft besteht darin, das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Ein ständiger Streit zwischen den Parteien trägt nicht zur Lösung der drängenden Probleme bei. Die Menschen erwarten von ihren politischen Vertretern, dass sie sich ernsthaft mit ihren Sorgen auseinandersetzen. Sonst wenden sie sich von den etablieren Parteien ab. Und suchen sich Alternativen …
Inwiefern können literarische Werke zur Aufklärung und Sensibilisierung der Gesellschaft im Kontext des Kampfes gegen Extremismus und der Wahrung demokratischer Werte beitragen?
Ich bin überzeugt, dass Literatur eine bedeutende Rolle spielen kann und tut. Das geschriebene Wort fördert die Auseinandersetzung und die Selbstreflexion.
Fanatismus halte ich für eine der größten Gefahren, da er sich der Vernunft entzieht und nicht korrumpierbar ist. Oft werden kluge Köpfe von fanatischen Ansichten übertönt, aber selten hat der, der am lautesten schreit, auch recht.
Eine Frage, die wir uns immer wieder stellen sollten, ist: „Könnte ich irren?“ Wenn ich mit jemandem diskutiere, der eine andere Meinung hat, ist es mir wichtig, dessen Perspektive zu verstehen und zu hinterfragen. Aufklärung erfordert, dass wir unser Wissen immer wieder auf den Prüfstand stellen und offen für neue Erkenntnisse bleiben.
Hast du Rückmeldungen von deinen Lesern erhalten, die zeigen, wie deine Werke deren Verständnis von Geschichte oder der aktuellen politischen Situation beeinflusst haben?
Ja, ich habe tatsächlich sehr viel Feedback bekommen, darunter viele bewegende Leserbriefe, die mich wirklich berühren. Das ist meine Seelennahrung. Viele Leser:innen teilen auch ihre eigenen Geschichten mit mir, die oft ähnliche Erfahrungen widerspiegeln, sei es von ihren Eltern oder Großeltern.
Was ich mir gut vorstellen könnte, wäre auch in Schulen über die Versuchungen und Verbrechung des Dritten Reiches zu sprechen und in direkte Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen zu treten. Ich rede gerne und viel, (lacht). Leider wurde ich bisher noch nicht eingeladen, ich stehe aber jederzeit für Aufklärungsarbeit zur Verfügung.
Und was liest du gerade?
Ich habe kürzlich die Biografie von Agatha Christie gelesen, da ich mich vor allem für Biografien von zeitgeschichtlichen Persönlichkeiten interessiere. Diese Art von Literatur begeistert mich sehr.
Aktuell habe ich mit einem Buch über Julian Assange begonnen, dessen Schicksal mich sehr bedrückt. Ich war in dieser Angelegenheit auch aktivistisch tätig und habe Briefe geschrieben, weil ich es als empörend empfinde, dass dieser Mann inhaftiert worden ist, obwohl er nichts Unrechtes getan hat. An ihm sollte ein Exempel statuiert werden, zur Abschreckung aller, die die schmutzigen Machenschaften der Geheimdienste ans Licht ziehen wollen. Dieses Sachbuch kann ich jedem nur wärmstens empfehlen, es geht nicht nur um den Menschen Assange, sondern um eines unserer höchsten Güter: die Meinungs- und Pressefreiheit.
Arbeitest du aktuell an neuen Projekten?
Ja, ich arbeite an einem neuen Projekt, das allerdings noch top-secret ist.
Was ist deine Botschaft an deine Leser:innen und die dieses Magazins?
Meine Botschaft an die Leser:innen ist im eigenen Bewusstsein zu bleiben. Wir leben in verrückten Zeiten, und angesichts der vielen Krisen und Konflikte, die das tägliche Nachrichtenbrot sind, sollten wir trotzdem versuchen, positive Gefühle zu kultivieren, denn diese bekommen wir auch zurück. Ich glaube an das Prinzip der Resonanz. Darum versuche ich, nicht in vorschnelle Bewertungen zu verfallen und nehme stattdessen die Perspektive des Beobachters ein. In diesen herausfordernden Zeiten einfach auch einmal tief durchzuatmen und sich einen Moment der Ruhe zu gönnen. Das hilft, die eigene innere Balance zu halten und somit einen positiven Einfluss auf die Welt um uns herum auszuüben. Geben wir Liebe, bekommen wir Liebe, und letztlich ist Liebe das Einzige, was diese Welt heilen kann. Alles wird gut!
Hanni, vielen Dank für deine Zeit und dieses Gespräch!
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