Welcher Ort eignet sich mehr für ein Gespräch mit Typografie-Professor Huber von supertype als das wunderbare Buchstabenmuseum in Berlin Tiergarten? Wir sprachen mit ihm für die sechste Ausgabe der Passion, dem Kundenmagazin von BerlinDruck über die sich verändernde Situation in der Lehre und darüber, warum wir immer wieder neue Schriften brauchen.

Jürgen, wie geht es dir mit der Coronakrise?

Ach, mir geht’s eigentlich ganz gut. Ich muss fast sogar sagen, ich genieße es ein wenig. Als Typograf bist du ja von Hause aus einer, der viel sitzt. Da findet sehr viel im Stillen statt. Schriften ausbauen, Zeichensätze ausbauen. Das erfordert viel Konzentration.Es ist grad eine sehr ruhige Zeit. Diese sprichwörtlichen langen Winterabende haben wir jetzt andauernd. (lacht)

Das Buchstabenmuseum in Berlin Tiergarten

Du lehrst an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin Kommunikationsdesign. Wie fühlt sich das zurzeit an? 

Gar nicht so komisch, wie ich erst dachte. Ich hatte zwei Wochen lang ordentlich Bammel, bevor das losging. Besonders, was die Technik anging. Wird alles klappen? Werden die Streams halten? Kann ich meinen Desktop ordentlich teilen? Kann ich mein Smartphone als Videokamera nutzen? Es hat alles ganz wunderbar funktioniert.

Wie sieht Lehre heute aus? Wie muss man sich das vorstellen?

Wir haben im Semester achtzig Studierende. Zwei Lehrende teilen sich den Unterricht auf in zwei Gruppen, die wiederum auf die Vormittage und die Nachmittage verteilt werden. Da hast Gruppen mit zwanzig Studierenden und in der Mittagszeit eine Vorlesung. Wir nutzen Zoom mit den Gruppen, was ziemlich gut geht – eine gute handhabbare Größe. Der große Unterschied liegt darin, dass ich wahnsinnig konzentriert sein muss. Das ist nochmal ein ganzer Zacken anstrengender als die Präsenzlehre, weil man die ganze Zeit fokussiert vor diesen zwanzig Zentimetern Monitor hockt. Aber ich lerne die Studierenden auch so ganz gut kennen – zwar nur die obere Hälfte, aber dafür sehe ich die Zimmer und sie sehen meins. Und das ist ja auch ganz schön. Es gibt Kollegen, die das Persönliche vermissen. Das finde ich nicht. Man ist überall zuhause. So gibt jeder ein Stück mehr preis von sich – ich auch! Ich hab mich zwar in eine Ecke gesetzt, die ein bisschen telegener ist, aber letztlich haben wir alle jetzt einen Eindruck voneinander.

Prof. Jürgen Huber (Foto: Michael Jungblut, fotoetage)

Was ich wirklich liebe ist, dass ich mein Lehrmaterial mit durchschieben kann, denn der gesamte Unterricht muss ja durch diesen elektronischen Kanal.Was ich natürlich nicht nutzen kann, ist meine Bilbiothek – kann nicht sagen: „Zu ihrem Thema, zu Ihrer Frage habe ich folgendes Buch.“

Kann man sich vorstellen, zukünftig Präsenzlehre und Online-Lehrraum zu kombinieren?

Absolut! Man merkt auch bei Kunden, dass die Videokonferenz funktioniert. Eine Technik, die seit Jahrzehnten brach lag, ist plötzlich Thema. Und anstatt her-umzureisen, kann ich ganz entspannt eine Videokonferenz machen. Selbst Politiker haben dieses Medium entdeckt. Alle Achtung! (lacht)

Wann hast du dein Faible für Typografie entdeckt? 

Bei mir hat’s angefangen, als ich in der Schule Plakate für Schulfeste gestaltet habe. Damals gab es keinerlei Zugang zu Schriften. In der Nachbarschaft gab es einen Schreibwarenhandel, der den Letraset-Katalog hatte. Und das war mein Erweckungserlebnis. Ich war völlig fasziniert von diesen Schriften, hatte aber keine Möglichkeit, diese zu reproduzieren. Selbst Kopieren war zu der Zeit noch schwierig. Du musstest irgendwo hinlaufen, sagen, was du wie groß kopiert haben wolltest und konntest das am nächsten Tag abholen. Das war zu kompliziert.

Die ersten Plakate habe ich gestaltet, indem ich mit der Schieblehre die Lettern abgemessen und im richtigen Maßstab auf’s Papier übertragen habe. Später im Studium gab es dann ab dem 3. Semester das Fach Typografie. Ein Fach, von dem ich annahm, dass mich das irgendwie nerven würde. Dass das nicht so war, kann man sich vorstellen. Ich hab in Typografie nicht nur was über Schrift gelernt, sondern ganz vieles, das ich später im Bereich Corporate Design gebrauchen konnte. Da ging es um Konsistenz und Hierarchien und das Einhalten von einmal getroffenen Entscheidungen. Das waren letztlich die Parameter, die damals schon für ein Corporate Design Gültigkeit hatten. Schriftentwurf kam allerdings bei mir ganz am Ende des Studiums.

(Foto: Michael Jungblut, fotoetage)

Du bist seit über 20 Jahren Font-Designer. Gibt es wirklich noch den Bedarf nach neuen Schriften?

Richtig brauchen tun wir keine neuen Schriften. Wir könnten uns darauf verständigen, dass ab morgen alles, was seriös sein soll, in Arial gesetzt wird. Fließtexte und Romane in der Minion, als Überschrift wieder die Arial oder die Myriad. Einladungen zum Kindergeburtstag, da nimmst du die Comic sans. Und wenn die Queen einlädt, dann kannst du die englische Schreibschrift nehmen. Ich würde mal sagen, mit zehn Schriften kommen wir doch irgendwie hin, oder? (lacht)

Und warum kommen wir nicht hin?

Du versuchst als Schriftanwender immer den Font zu finden, der für dein jeweiliges Problem oder deinen kommunikativen Zweck am besten ist. Jede Schrift hat ihren Charakter und Ihre Eigentümlichkeiten. Jede Typo erfüllt ja nicht nur einen Zweck, sondern es schwingt immer auch ein sog. konnotativer Wert mit. Diese konnotative Aussage von Schrift ist für uns Schriftentwerfer der Anlass, immer wieder eine Neuinszenierung von einem relativ definierten Zeichensatz zu machen und dabei Grenzen auszutesten. Außerdem ist es immer ein zeitgenössisches Thema, Schriften neu zu interpretieren.

Schriftentwicklung für den DFB

Wenn man, wie du, für die Bundesregierung oder den DFB Schriften entwerfen darf, geht man da anders an die Aufgabe heran, als bei ähnliche Projekten für Unternehmen? 

Doch, ja. Man hat schon Respekt vor der Aufgabe für die Bundesregierung zu arbeiten. Auf jeden Fall!

Woher nimmt man die Gewissheit, das Richtige zu tun?

Ich muss sagen, dass, was das Bundespresseamt formuliert hat, und unsere eigene Vorstellung deckungsgleich war. Eine Schrift ist immer auch ein Instrument der Macht auf dem Markt. In diesem Zusammenhang sprechen wir immer auch von dem Begriff Exklusiv-Schrift, d. h. diese Schrift ist auf das Unternehmen zugeschnitten und nur von ihm nutzbar. Die Bundesregierung hat sich immer – und das fand ich sehr sympathisch – gegen den Begriff Exklusiv-Schrift gewehrt. „Wir wollen nicht exklusiv sein, wir wollen alle integrieren.” Da war von Anfang an klar, dass wir eine Zielgruppe von über achtzig Millionen haben, für die das alles funktionieren muss. Es war nie unser Ziel, eine markante Schrift zu entwerfen. Es ging uns darum, eine möglichst hohe Akzeptanz zu finden.

supertype entwickelte die Schrift für die Bundesregierung

Wo siehst du Trends in Schriftgestaltung, aber auch im Corporate Design?

Es gibt einen Trend zu geometrischen Schriften: Die neue Sachlichkeit. Das, was 1925/1930 anfing, das haben wir heute wieder. Schriften, die auf klaren geometrischen Prinzipien beruhen, sich eher neutral gebärden, die eine Formensprache haben, die gar nicht viel wagt. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern, denn diese Schriften passen ganz hervorragend zu unseren Wirtschaftssystemen.Parallel zu diesem Trend gibt es allerdings ein anderes Phänomen: diese überbordenden Handschriftlichkeiten, das Handlettering, als bildhaftes, illustratives Moment in der Typografie. 

Das Buchstabenmuseum hat von donnerstags bis sonntags für Besucher geöffnet.

Hast du Lieblingsschriften oder benutzt du eh nur deine eigenen?

Ich benutze meine eigenen Schriften wahnsinnig ungerne. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Mick Jagger beim Autofahren immer die Stones hört. Ich benutze am liebsten Schriften von anderen, hab da aber ehrlich gesagt keine Präferenzen.

Was wäre dein nächster Lieblingskunde?

Wir haben was in der Pipeline, da warte ich noch auf die Email … (lacht)

Jürgen, vielen Dank für das Gespräch!