Heute traf ich Thomas Koch zum Interview für die Passion-Ausgabe #3. Thema des BerlinDruck-Magazins „Erster!“. Wir sprachen über Neugier, Mut und Naivität und darüber, warum das Bauchgefühl im Marketing nicht der richtige Weg ist.

„Mr. Media“ Thomas Koch mit Eckard Christiani

Thomas, du bist seit fünf Jahrzehnten in der Mediabranche unterwegs und inzwischen eine unumstrittene Größe. Man nennt dich liebevoll Mr. Media! Wann hattest du das erste Mal das Gefühl, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben?

Das erste Mal, als ich Mediachef der legendären Werbeagentur GGK wurde und man mich bat, die Mediaarbeit aller fünf GGK-Standorte in Düsseldorf zu zentralisieren. Daran waren bereits zwei meiner Vorgänger gescheitert. Es gelang mir, weil ich schnell Zugang zu den Kreativen fand. Ich sprach ihre Sprache und machte mich stark für eine enge Zusammenarbeit von Kreation und Media. Aus dieser Zeit stammt auch die schöne Jägermeister-Anzeige mit mir – damals noch ohne den inzwischen berühmten Schnurrbart.

Thomas Koch als Model für Jägermeister

Dies war der Grundstein für unzählige Kampagnen, deren Erfolg durch die Decke ging. Und es ist nach wie vor das Rezept für erfolgreiche Kommunikation. Dass sich so viele Werber nicht daran halten, sorgt übrigens dafür, dass unsere Kampagnen erfolgreicher sind als ihre …

Capital bezeichnete dich schon vor knapp 25 Jahren als „profiliertesten Vordenker der deutschen Werbung“. 2004 wurdest du von Media & Marketing Europe in die Galerie der 15 Personen aufgenommen, die die europäische Werbebranche am meisten bewegt haben – zusammen mit Maurice Lévy, Rupert Murdoch und Sir Martin Sorrell. Was bedeutet dir das?

Das Lob von Capital damals war so etwas wie eine etwas zu frühe Krönung. Ich hoffe, ich bin dem Superlativ in der Zwischenzeit auch gerecht geworden. Jedenfalls gab es bislang keinen Widerspruch …  Durch die Galerie von Media & Marketing Europe bin ich zum ersten Mal auf europäischer Ebene wahrgenommen worden. Die Einreihung in eine Liste mit diesen Wirtschafts- und Werbegrößen hat mich durchaus erröten lassen und dürfte einigen meiner Wettbewerber in Deutschland die Zornesröte ins Gesicht getrieben haben. Für meine PR und die Positionierung meiner Agentur war es natürlich genial. 

Dein Weg ist nicht unbedingt immer gerade gewesen. Sind es Neugier und Lust am Experimentieren, die dich antreiben?

Neugier und vor allem die Lust an Neuem sind die Treiber. Aber dazu gehört – neben Mut – auch eine gehörige Portion Naivität. Man kann nicht immer alles bedenken und vorausplanen. Dann würde man wahrscheinlich nie etwas Neues starten. Man muss einfach eine Idee gut finden, stets mit Leidenschaft zu Werke gehen und einfach loslegen. Das führt aber zwangsläufig auch dazu, dass man immer wieder einmal Schiffbruch erleidet. Zum Beispiel mit einer Agentur gemeinsam mit dem Marketingchef eines großen Telekommunikationsunternehmens, mit der wir versuchten, die Europa-Lizenz für die Übertragung der Olympiade in Peking zu ergattern. Wir haben wie Anfänger versagt. Oder mit einer Galerie für zeitgenössische Kunst in Düsseldorf. Sie wurde von der Kunstwelt gelobt, schaffte es aber leider nicht, einem ihrer Künstler zum Durchbruch zu verhelfen. Das hat nicht einmal dem Ego wirklich wehgetan, aber meinen Horizont ungemein erweitert. Und wahrscheinlich dazu beigetragen, dass viele andere meiner Experimente sehr erfolgreich waren.

Ein Beispiel: Neugier und Mut führen mich seit vielen Jahren in einige Krisengebiete der Erde: nach Afghanistan, Libyen, Irak, Sudan u. v. a. m. Eine NGO in Berlin bat mich, ihnen zu helfen, junge, aber finanziell angeschlagene Medien nach den Aufständen in diesen Ländern in der Kunst der Positionierung und des Marketings zu instruieren. Ich sagte spontan zu und fand mich kurz darauf in Ländern wieder, die wir nicht gerade als Reisegebiete auswählen. Viele der von uns gecoachten Medien überlebten. Und ich erlebte, dass meine Profession tatsächlich auch für etwas wirklich Gutes und Wertvolles zu gebrauchen war. 

Thomas Koch im Südsudan

Du warst auch einer der Ersten, die den Wert des Internets fürs Marketing entdeckten. Wie war das damals?

Das Magazin „Stern“ startete 1995 seine erste Homepage und suchte nach Werbekunden, die ein Banner darauf platzierten. Das war nicht einfach. Sie fragten auch bei mir an und ich beschloss, es nicht einem unserer Kunden anzubieten, sondern einen Banner für die eigene Agentur zu schalten. Zwei Wochen kosteten ganze 200 D-Mark. Und ich konnte fortan behaupten, einer der allerersten in Deutschland gewesen zu sein, der überhaupt Internetwerbung machte. – Wenig später gründeten wir als erste Mediaagentur eine Digital-Unit und betreuten von Anfang an Traumkunden wie Stepstone und bücher.de. Erster zu sein, ist immer gut für den Adrenalinspiegel, aber auch für die Positionierung. Und bisweilen sogar hilfreich für die Kasse. 

Deine neue Agentur beschäftigt sich mit dem Digital-out-of-Home-Markt. Was bedeutet das?

DOOH ist der neue Stern am Medienhimmel. Als vor fünf Jahren das Digital Media Institute als Marketing-Treiber für DOOH gegründet wurde, bat man mich die Präsidentschaft zu übernehmen. In dieser Rolle beschäftigte ich mich intensiver mit dem jungen Medium als wohl jeder andere Agenturchef – und sah, dass manche Vermarkter DOOH nicht präzise genug positionierten. Die Folge: Viele Kunden verstanden das junge Medium falsch oder gar nicht. Also gründete ich The DOOH Consultancy. Die Kunden rennen uns förmlich die Bude ein. 

Als Beirat bei touch361 beschäftigst du dich mit Effizienz und Wirkung von Kampagnen und Optimierungspotenzialen im Marketing-Mix. Ist das ein Versuch, den Eitelkeiten von Marketing-Managern wissenschaftlich entgegenzutreten?

Wir müssen im Marketing weg vom Bauchgefühl. Alle Welt treibt es derzeit in die Onlinemedien. Viele machen es aber nur, weil es alle machen. Inzwischen hassen uns die Konsumenten dafür. Und als Folge der Mediendigitalisierung sinkt die Werbewirkung weltweit. Hinzu kommt, dass von jedem Werbeeuro immer weniger bei den Medien ankommt, weil sich unendlich viele Dienstleister dazwischenschalten, die am digitalen Trend mitverdienen. Um endlich zu ergründen, welche Medien und Kanäle welchen Beitrag zur Kampagnenwirkung liefern, brauchen wir Objektivität – und neue Tools. Das von touch361 hat mich überzeugt. 

Wenn der richtige Mix im Fokus steht, bekommt dann nicht Print wieder eine größere Bedeutung? 

Print hat so etwas wie die „Arschkarte“. Zeitungen und Zeitschriften verloren in den letzten Jahren überproportional Werbeerlöse, also mehr als nach ihren Auflagenverlusten angemessen wäre. Sie wurden von den Mediaagenturen am stärksten abgestraft. Sie müssen quasi allein für die Steigerung der Investitionen in digitale Medien aufkommen. Dabei besitzt Print für die Leser eine Funktion, die durch digitale Medien nicht ersetzt wird: Qualitätszeit, Auszeit, das Vergnügen am Lesen und kritische Berichterstattung. Für die Gesellschaft ist Print als die berühmte „Vierte Gewalt“ sogar unverzichtbar. Für den Werbungtreibenden liefert Print seine größte Kraft bei der Markenbildung (also Image), beim Schaffen von Vertrauen in die Marke und bei der Markenpositionierung und Differenzierung. Also genau dort, wo die Marken derzeit am meisten schwächeln. Das wird der Werbemarkt bald erkennen und der Printwerbung zu einem Comeback verhelfen. Weil ich davon überzeugt bin, kämpfe ich dafür an allen Fronten.

Kritisches Denken bleibt beim digitalen Schnelllesen auf der Strecke, war kürzlich in der NZZ Folio zu lesen. Brauchen wir für unsere Meinungsbildung oder Kaufentscheidung nicht sogar zwingend etwas Greifbares in unseren Händen?

Das Haptische an Print ist seine Stärke. Haptik und vor allem die Nutzungsweise, die Situationen, in denen wir Print nutzen, führen dazu, dass wir uns Inhalte besser merken und sie verstehen. Das ist inzwischen erwiesen. Ohne Print sinkt sogar unser IQ. (Das ist noch nicht endgültig erwiesen, aber die Neurowissenschaftler arbeiten dran.) Ohne Print können junge Leser heute Fake News nicht mehr identifizieren. Lesen verlängert übrigens auch unser Leben, wie die Yale University jüngst nachwies. Um immerhin zwei Jahre. Ein starkes Argument für ein Medium, würde ich sagen.  

Abschließend noch die Frage: Was treibt dich aktuell um? Werden wir bald wieder Neues von dir hören?

Selbstverständlich. Neben meinem neuen Podcast mit Tele-5-Chef Kai Blasberg („Zwei Herren mit Hund“), in dem wir uns unterhaltsam über alles in der Medienwelt auslassen, gründe ich gerade zusammen mit zwei sehr erfahrenen Beratern einen neuen Mediator-Typus, der werbende Unternehmen im Umgang mit dem Thema Media berät und für eine ausgeprägte Medienexpertise in den Unternehmen sorgen will. Der Markt braucht immer Neues.

Thomas, vielen Dank für dieses Gespräch.