Ein Essay von Eckard Christiani in der 51. Ausgabe des CI-Magazins
Die Corona-Pandemie stellte vor über einem Jahr unser Leben auf den Kopf. Wir sahen mit einem Mal, dass vieles im Argen liegt: angefangen bei unserer Lebensweise über unsere Ernährung bis hin zu der Art, wie wir uns die Mittel zum Leben organisieren. Dabei verrät es viel über uns, wie wir gemeinsam kochen, am Tisch sitzen und morgens, mittags und abends gemeinsam essen.
Viele von uns lümmeln auch während des Essens mit dem Handy auf dem Sofa – mit einer Pizza aus dem Karton. Es gibt kaum noch Kommunikation am Esstisch. Bemerkenswert ist, dass vor Corona noch 70 Prozent der Familien in Deutschland einmal in der Woche gemeinsam aßen. Alle anderen Mahlzeiten wurden irgendwann und irgendwo eingenommen. In Kantinen, in Schulen, am Arbeitsplatz oder im Gehen auf der Straße. Das kann nicht gut sein, weil man in alten Zeiten am Tisch, als dieser noch Mittelpunkt des Familienlebens war, viele Dinge besprochen und verhandelt hat und viele Sachen gelernt wurden. Es wurden dort die Grundwerte des Zusammenlebens – Teilen, Verzichten, auch Gehorchen – geübt. Voraussetzung war natürlich, dass vorher jemand kochte. Kochen und gemeinsames Essen sind, und davon bin ich zutiefst überzeugt, eine Schule des Lebens.
Jetzt, wo wir die Pandemie langsam im Griff haben, spürt jede*r die Bedeutung einer gemeinsam eingenommenen Mahlzeit – besonders, seit wir (wieder) Freund*innen einladen können. Der Essbereich als kommunikativer Treffpunkt rückt damit in den Fokus. Ob rund oder eckig, es ist gut, wenn sich endlich alle wieder um den heimischen Esstisch versammeln. Doch auch dem „Wie“ kommt jetzt mehr Aufmerksamkeit zu, als noch vor ein paar Jahren. Ein zeitloser Tisch, komfortable Stühle bilden die selbstverständliche Basis, die Generationen zusammenbringt und sie dank hochwertiger Verarbeitungsqualität bestenfalls überdauert. Frei nach dem Motto „Back to the Roots“ beschränken sich Geschirr und Dekoration auf das Wesentliche: einzelne Blüten in sichtbar handgeformten Keramikschalen ersetzen große Vasen, Leinenservietten unterstreichen das natürliche Ambiente. Reduktion und eine neue Wertigkeit sind das Gebot der Stunde und bieten den Rahmen für ein gelungenes Essen im größeren Kreis.
Folgen hat diese neue Bewusstheit beim Kochen und Bewirten von Gästen auch für die Wertschätzung, die wir für unsere Lebensmittel aufbringen. Man sollte sich mit der Herkunft seiner Lebensmittel beschäftigen. Woher kommen sie, wie werden sie produziert? Wir brauchen eine ökologische Biolandwirtschaft, denn die herkömmliche Agrarpolitik und die Art, wie wir Fleisch produzieren, tragen maßgeblich zum Klimawandel und dem Artensterben bei. Letztlich haben wir Verbraucher*innen es in der Hand. Doch es geht nicht nur um unseren Einfluss auf die Umwelt, sondern natürlich auch um uns selbst: Beinahe alle Zivilisationskrankheiten haben mit unserer Ernährung zu tun, deshalb können wir uns selbst mit der Auswahl der Nahrungsmittel heilen. Wie man es dreht und wendet, eine möglichst fleischlose Ernährung ist für alle und alles das beste. Was natürlich die Frage aufwirft, mit welchen Lebensmitteln man stattdessen die Menschen auf der Welt ernähren könnte? Bohnen, Pilzen, Algen und Insekten sind die neuen Proteinlieferanten. Klingt erst mal gewöhnungsbedürftig, aber man kann viele neue Gerichte mit ihnen kreieren – die Köche der Zukunft und die Lebensmittelindustrie müssen sich dafür nur ein bisschen anstrengen und kreativ sein. In Japan werden Speisen mittlerweile gedruckt. Das Unternehmen Open Meals hat etwa die verrückte Idee eines Sushi Teleporters entwickelt.
Ob so die Zukunft der Speisen auch hierzulande aussieht? Wie auch immer: Letztlich ist klar, dass Ernährung eine der, wenn nicht DIE zentrale Frage nach der Zukunftstauglichkeit der Menschheit ist.
Die vierteilige Buchreihe „morgen – wie wir leben wollen“ (Edition Integralis, hrsg. von Eckard Christiani) versammelt Essays und Interviews aus den Bereichen Ernährung, Wohnen, Unterhaltung und einer nachhaltigen Lebensweise.
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