In Zeiten voller Unsicherheit braucht der Mensch Momente, die ihn zwischendurch erden. Wir alle spüren eine neue Nachdenklichkeit. Sich jedoch der täglichen Informationsflut zu ergeben und allzu sehr zu grübeln, hilft da nur wenig. Der Philosoph Ulrich Hoffmann rät, sich die Herrschaft über unsere Zeit und unser Leben zurückzuholen. Für den zweiten Newsletter von BerlinDruck hat Eckard Christiani mit Ulrich Hoffmann über sein Buch „Pause“ gesprochen – ein beinahe universeller Ratgeber mit etlichen Inspirationen, wie wir auch mit der Coronakrise umgehen könnten.
Herr Hoffmann, Sie haben ein Buch geschrieben, das ganz zufällig genau in unsere Zeit passt. Ihr Buch „Pause“ ist ein universeller Ratgeber dafür, wie man sich und sein Leben anders und neu organisiert. Im März und April dieses Jahres hatten sehr viele von uns unfreiwillig eine Pause. Ist jetzt nicht genau der richtige Zeitpunkt, seine Zukunft zu überdenken?
Ich habe das Buch geschrieben in einer Zeit, wo es um freiwillige Pausen ging. Es gibt einige Autoren, die diese Zwangspause als wahnsinnig große Chance ansehen. Ich reihe mich da ehrlich gesagt nicht ein. Mir ging es mit dem Buch darum zu gucken, wie man – wenn einem sein Leben im Großen und Ganzen gefällt – an kleinen Stellschrauben absichtsvoll selber etwas verändern kann.
Natürlich sag ich mit einem gewissen Augenzwinkern, ich habe das Buch zur rechten Zeit geschrieben. Aber das Augenzwinkern ist eben ganz wichtig. Wenn man in der Situation ist, die lang erhoffte, ersehnte oder benötigte Pause zu machen und sagen zu können, ich renoviere jetzt mal meine Garage oder bastele an meinem Oldtimer, weil sowieso keiner etwas von mir will und das tut mir auch total gut, dann ist das schön, wenn man so eine Anregung jetzt aus diesem Buch zieht. Aber die meisten Leute haben im Moment andere Probleme, die wirklich einer Lösung bedürfen. Natürlich hilft auch dann, eine Pause zu machen, aber das ist Schritt zwei.
Ihr Buch bietet ja noch viel mehr Inspirationen für ein Leben mit weniger Stress und Hektik, wie es hinten auf dem Buchdeckel steht. Es ist mehr Lebenshilfe als nur die Hilfe für eine richtige Pause.
Das Buch bezieht einen großen Reiz aus den Gruppierungen. Abschalten vs. Anlassen, Rausgehen vs. Drinbleiben, Offenheit vs. Abgrenzung usw. Am Ende geht es um so etwas wie einen mittleren Weg.
Ein Beispiel: Ich arbeite total gerne. Ich finde, etwas geschafft zu haben, ein tolles Gefühl. Ich habe letzten Winter bei uns Klick-Vinyl verlegt. Das ist wirklich eine blöde Arbeit. Da tun einem die Knie und die Finger weh. Und ehrlich gesagt, kann ich es nicht besonders gut. Hätte das ein Profi gemacht, würde das jetzt besser ausgesehen. Aber trotzdem bin ich total stolz.
Pause heißt nicht, auf dem Sofa zu sitzen, nichts zu tun, abzuschalten. Pause – so wie ich es verstehe – ist ein Ausgleich zu etwas, was mich sonst mit Haut und Haaren frisst – in einem Maße, das mir nicht guttut. Pause ist eine Abgrenzung gegen ein „Zuviel“. Und in erster Linie eine Abgrenzung gegen diese furchtbare Verdichtung. Ich erwisch mich ja auch selber dabei, dass ich in der Kassenschlange im Supermarkt stehe, drei Leute vor mir und ich checke meine E-Mails. Anstatt so wie früher einfach nur rumzustehen, als es noch keine Smartphones gab.
Die Coronakrise hilft uns aber auch, einige Schritte schneller zu gehen als gedacht. Stichworte: Home office und home schooling befeuert die Digitalisierung. Die Art, wie wir kommunizieren, hat sich geändert. Wir sitzen uns nicht gegenüber, sondern sprechen über FaceTime miteinander. Worauf müssen wir bei dieser Entwicklung achten?
Im Augenblick geht uns aus gut nachvollziehbaren Gründen das unmittelbare menschliche Berührtwerden total verloren. Warum finden wir das jetzt beide ein bisschen komisch? Würden wir über andere Dinge reden, wenn wir uns gegenübersäßen? Ich glaube nicht. Es wäre aber als Erlebnis menschlicher. Dieses Erleben verlieren wir jeden Tag ein bisschen mehr. Nicht in Echtzeit zu kommunizieren – z. B. über Mails – finde ich im Alltag echt praktisch. Trotzdem muss man gerade jetzt darauf achten, dass man diese menschlichen Berührungspunkte nicht aus den Augen verliert. Wir haben in der Zeit, als wir auf die biologische Kernfamilie reduziert waren, gemerkt, dass uns doch was Entscheidendes fehlt und wir eine Sehnsucht haben nach mehr Nähe. Ich glaube, dass im Rahmen der Digitalisierung viel davon verloren geht, was subtil im direkten Gespräch vermittelt wird.
Auf der anderen Seite werden wir durch Videochat alle viel menschlicher. Plötzlich laufen Kinder im Hintergrund herum. Man sieht, wie es bei Leuten im Wohnzimmer aussieht. Oder irgendwas klappt nicht und man lacht gemeinsam darüber. Das finde ich auch wieder charmant.
Ihr Buch „Pause“ hätten Sie in der jetzigen Situation nicht geschrieben oder zumindest anders geschrieben. Welche Lebenshilfe können Sie Ihren Lesern jetzt mitgeben?
Ich glaube, dass die Idee des Buches, nämlich zu sagen, dass Pausen gut sind, trotzdem noch trägt. Gerade in einer Zeit, wo so ein Gefühl der Machtlosigkeit und Unsicherheit herrscht. Im Grunde ist Unsicherheit ja sowieso immer gegeben. Auch davor, dass z.B. die jetzige Situation eintreten könnte, wurde schon vor einigen Jahren gewarnt.
Wir haben alle – und da schließe ich mich ausdrücklich mit ein – verlernt, mit Frustrationen umzugehen. Wenn irgendwas nicht klappt, na, dann lass dir einfach ein Schaumbad ein, trink einen Rotwein oder geh ins Fitnessstudio, und pump bis du umfällst. Also mach, dass der Schmerz weggeht. Solche Pausen sind aber auch trojanische Pferde. Manchmal muss man sein Unterbewusstsein auch seine Arbeit machen lassen. Wenn ich mich immer nur ablenke und beschäftige und zumache, dann bleiben Reste. Wenn man aber seine Pause richtig gestaltet und eine Stunde spazieren geht und dabei nicht zwei Podcasts hört, sondern einfach mal so für sich ist, dann ist das die ersten Male ein bisschen befremdlich. Nach einer Weile aber kommen einem Gedanken, und dann gehen die auch wieder. Das ist so schön zu lernen: ‚Ach, die gehen auch wieder!‘
Das gesamte Gespräch lesen Sie in der Sommerausgabe des BerlinDruck-Magazins Passion, die am 22. Juni 2020 erscheint.
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