Herr Kaube, der freie Journalismus kämpft gerade an drei Fronten. Die Abkehr der jüngeren Generation vom Qualitätsjournalismus, Angriffe auf die Pressefreiheit weltweit und das Sterben des Geschäftsmodells, sich über Werbeeinnahmen zu finanzieren. Woraus ziehen Sie als Herausgeber einer der wichtigsten deutschen Tageszeitungen Ihre Motivation und auch Genugtuung?

Na ja, aus dem Kampf selber. Alle drei Herausforderungen sind interessante Aufgaben, die vielleicht ein bisschen miteinander zu tun haben, aber nicht strikt gekoppelt sind. Wenn wir einmal mit der jungen Generation anfangen, die eine Tageszeitung angeblich nicht mehr liest: 16-Jährige waren noch nie zentrale Abonnent*innen der FAZ. Für junge Leser*innen ist es wichtig, dass man auch die Redaktionen jung hält, damit man nicht übersieht, wofür sich junge Leute interessieren. Man sieht aber an der Konkurrenz, dass das nicht einfach ist. „Bento“ (das junge Magazin vom „Spiegel“, Anm. der Red.) beispielsweise wird runtergefahren. Es ist nicht einfach, durch Jugendlichkeit junge Leute anzuziehen. Das ist vielleicht auch ein Fehlschluss.

Dann wären wir beim zweiten Thema: Pressefreiheit und Fake News. Da bin ich eigentlich ganz gelassen. Man sollte sich da nicht verrückt machen lassen. Wir versuchen das mehr mit Durchdenken der Dinge. Klar, man verliert den einen oder anderen, der einem wütende Leserbriefe schreibt, man sei Vasall der Regierung Merkel … Gut, wer so denkt, ist eh falsch bei uns. Unsere Zeitung ist meinungsplural: Das, was der Politikteil sagt, was das Feuilleton sagt, was der Wirtschaftsteil sagt, wird nicht aufeinander abgestimmt. Ich erfahre, was die politischen Redakteur*innen schreiben, auch erst aus der Zeitung. 

Wir machen zum Beispiel bei Befragungen die Erfahrung, dass es ein ganz starkes Interesse an Wissenschaftsberichterstattung gibt – und zwar interessanterweise über die Geschlechter hinweg. Wir haben bei uns generell eine Geschlechtersortierung: Die Herren lesen den Politikteil, Wirtschaft, Sport vielleicht noch Technik und Motor. Frauen lesen eher Feuilleton, Reise und so weiter. Aber Wissenschaft lesen sie alle! Dafür ist jetzt die Coronakrise, wenn man so will, ein dankbares Phänomen, weil es da ja um Wissenschaft geht, um ihre Unwägbarkeiten und Unsicherheiten.

Die dritte Herausforderung ist das Geschäftsmodell. Wir sind mit der Entwicklung unserer digitalen Produkte ganz zufrieden. Man muss weiter in den Werbemärkten kämpfen, das ist ganz klar. Und mehr auf Abonnements gehen und sich überlegen, was die richtigen Preisstrukturen sind. 

Es ist manchmal schon kurios. Ich hatte oft schon diese Gespräche: ‚„Die FAZ kostet 2,50 € pro Exemplar. Jeden Tag muss ich das bezahlen.“ Da sage ich: „Wie oft gehst du denn zu Starbucks? Was kriegst du bei Starbucks für 2,50 €?“ Nichts gegen die Preissetzung im Kaffeebereich. 2,49 Euro kostet ein Espresso bei Starbucks, das gibt man relativ schnell aus. Man kann Produkte nicht gegeneinander ausspielen. Aber man kann schon die Frage stellen: 40 Seiten über Reisen durch Indonesien, Besprechung der Tosca, Wirtschaftsberichterstattung, Sport und Technik – das müsste eigentlich mithalten können mit einem Espresso.

Die Zeitung wird sich stärker auf die Endgeräte, die ursprünglich mal Telefone waren und heute Fotokameras sind, einstellen müssen. Das ist dann so eine Mischung aus technischen und aus journalistischen Antworten. Wir haben zum Beispiel eine kostenfreie App, die „F. A.Z. Der Tag“ heißt. Eine Begleitung durch den Tag mit Kommentierungen der Neuigkeiten. Die ist beliebt und sehr erfolgreich. Wir haben wie andere Zeitungen auch abgeschlossene Bereiche mit einzelnen Artikeln, die zu sehr günstigen Abos führen. Die Nutzerzahlen sind gerade in der Coronazeit geradezu explodiert. Da bleibt die Frage, bleiben die Leser*innen auch danach noch bei uns?

In den USA regiert noch ein Präsident, der die traditionellen Medien als Fake News Media beschimpft und sie zu Feinden des amerikanischen Volkes erklärt. Der Präsident eines Landes, das die Freiheit der Presse in seine Verfassung aufgenommen hat. Ist das Teil einer Entwicklung, die man auch hierzulande beobachten kann?

Faktisch ist es in den Vereinigten Staaten so, dass Trump eine Fake-News-Zone ausgemacht hat, und die Abonnementzahlen der New York Times gehen durch die Decke. Man könnte sagen: „Fair enough!” Ich sehe die Meinungsfreiheit in den USA nicht gefährdet, wenn der Präsident Unfug redet. Das ist an sich ein Problem, aber mehr für die Politik, nicht für die Medien. Kritischer wäre es, wenn er anfinge, die Zeitungen zu gängeln, unter ökonomischen oder politischen Druck zu setzen. Dass politische Parteien auch hierzulande sehr scharf auf dem Meinungsmarkt auftreten, ist doch noch recht übersichtlich. 

Sie raten zur Gelassenheit?

Ja, man muss nur den Unfug benennen und ab und zu dagegenhalten. Das ist ja nicht abendfüllend, was da kommt. Besonders auch intellektuell. Das ist eher so ein bisschen sparsam, finde ich. Wenn zum Beispiel jemand nach dem Brand der Notre-Dame innerhalb von einer halben Stunde schreibt, es seien die Muslime gewesen, dann muss man schon mal fragen, wie er darauf kommt. „Spüre ich bei Ihnen den Wunsch, die Muslime seien es gewesen? Irre ich mich da ganz, wenn ich es da raushöre?” Das wären dann die Antworten auf so etwas. 

Aber ist das nicht eine bedrohliche Konstellation für unser Wertesystem? Es war nie leichter, sich zu informieren. Gleichzeitig wird die freie Presse als orientierende Institution angegriffen. Es gibt unendlich viele, manipulative „Wahrheiten“, die in den digitalen Echokammern umherwabern. Was haben wir als Gesellschaft versäumt?

Natürlich kann man in den Schulen Kurse für kritisches Lesen einrichten. Das ist eine Idee, die oft vorgetragen wird. Im Grunde genommen wird dann unterrichtet, was auch früher schon unterrichtet wurde, dass man eben nicht alles glauben soll, was jemand sagt, und dass Quellen lügen können. Der Geschichtsunterricht ist praktisch eine Abfolge solcher Feststellungen, dass Quellen nicht die Wahrheit sagen. Das ganze Mittelalter ist eine einzige komische Erzählung von sich selbst. Ja, man muss reagieren, aber nicht als superneue oder besonders komplizierte Fragestellung und die Gefahr übertreiben, die davon ausgeht. Man muss da selbstbewusst rangehen und sich immer wieder daran erinnern, dass 85 Prozent der Bevölkerung nicht rechts der CDU wählen und dass eine große Mehrheit nicht den antisemitischen Verschwörungstheorien anhängt. Die Populisten machen einfach viel Lärm. Jeder Mensch, der in der Presse, in den Medien oder im Internet vorkommt, hat natürlich kein gutes Gefühl, wenn er da nicht gut vorkommt. Presserecht durchzusetzen ist im Internet schwieriger. Versuchen Sie mal, eine Falschbehauptung auf Youtube loszuwerden.

Gibt es überhaupt Gegendarstellungen auf Youtube?

Hab ich jedenfalls noch nicht gefunden, dass da jemand was verliest wie: „Ich hab mich übrigens getäuscht, was ich in meinem letzten Video behauptet habe ….“ Im Fernsehen gab es früher immer so einen Typ, den Sie nie sahen, außer, wenn er Gegendarstellungen verlas. Die wurden dann immer mit einem so ganz bitteren Gesicht vorgelesen, um den Leuten auch klarzumachen, dass man total gezwungen wurde, das zu machen: Wir machen das sehr, sehr ungern. „In der letzten Panorama-Sendung haben wir die Behauptung aufgestellt, der Bundestagsabgeordnete X sei verflochten mit der chemischen Industrie. Der Bundestagsabgeordnete X legt Wert auf die Feststellung, dass das nicht der Fall ist.” Und dann kam noch so ein Schildchen, dass das kein redaktioneller Beitrag sei. Das las immer so jemand vor, den ich damals als Kind keiner anderen Sendung zuordnen konnte, weder Nachrichten noch Lottozahlen. Das war vermutlich ein Traumjob, Gegendarstellungen vorzulesen. (lacht)

FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube (Foto: Michael Jungblut, fotoetage)

Noch bis in die 1990er-Jahre finanzierten Verlage zu einem wesentlichen Teil ihren Journalismus über die Vermarktung ihrer Werbeflächen. Journalistik-Professor Klaus Meier geht davon aus, dass 2033 die letzte Tageszeitung gedruckt wird. Wie kann ein Haus wie die FAZ zukünftig das Geld für Journalismus verdienen? 

Damit, womit es auch heute sein Geld verdient. Wir leben ja jetzt schon in einer Welt, in der sich das auf den Kopf gestellt hat. Als ich 1998/1999 bei der FAZ angefangen habe, da lehnten wir Anzeigen ab, weil die Zeitung sonst samstags nicht mehr in den Briefkasten gepasst hätte. Das hat sich völlig gedreht: Wir verdienen mit den Abos und dem Einzelverkauf unser Geld. 

Und wo das jetzt stattfindet – im Netz oder gedruckt –, ist eine Generationenfrage. Bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sieht das noch etwas anders aus. Die wird im Bett gelesen, beim Frühstück oder auf der Terrasse. Das sähe schon ganz anders aus, wenn die gesamte Familie mit vier iPads am Frühstückstisch säße. Ich glaube, dass den Zeitungen zum Teil zu Leibe rückt, dass die Menschen nicht mehr frühstücken. Wenn nicht mehr gefrühstückt wird, ist das schlecht für die Zeitung. Das ist vielleicht ein Nebenaspekt, aber manchmal sind solche Dinge ganz ausschlaggebend.

Der Professor hat 2033 gesagt? Das sind dann 13 Jahre! Wer sich so etwas zutraut zu prognostizieren, der setzt auch stark auf das Vergessen. (lacht) Aber im Ernst: Das kann schon sein. Wer sagt mir aber, dass in 13 Jahren das Smartphone die Technologie der Wahl ist. Wenn Sie mich fragen, würde ich eher wetten, dass 2033 diese Dinger nicht mehr so aussehen und funktionieren wie heute. 

Wir als Zeitung verkaufen kein Papier, das muss man auch mal sagen. Papier ist eine praktische Unterlage und bei manchen von uns auch Gegenstand von nostalgischen Gefühlen. Aber das ist nicht der Punkt im Journalismus, dass das Zeug auf Papier abgebildet wird. 

Lange Rede, kurzer Sinn: Man muss kein Professor sein, um zu sagen, Papier gerät unter Druck. Vielleicht liegt es aber am Ende an den Druckmaschinen. Da müssen die Druckereien genau überlegen, ob sie bei den spürbaren Auftragsrückgängen noch einmal Geld in Zeitungsdruckmaschinen stecken. Wenn der Drucker dem Professor glaubt, könnte es sein, dass es eine Selffulfilling Prophecy ist – ich übertreibe ein bisschen. (lacht)

Andererseits haben wir viele Überraschungen erlebt. Ich würde nicht viele Flaschen Rotwein auf eine Behauptung setzen, die sagt, was in 13 Jahren ist. Es ist wie alle Wirklichkeit, sie überrascht uns dauernd.

Herr Kaube, vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Gespräch erschien in der Herbstausgabe der Passion, dem Kundenmagazin von BerlinDruck .