Mit ihrer Wanderausstellung und ihrem Buch Beauty liefern der in New York lebende Vorarlberger Grafiker Stefan Sagmeister und die US-amerikanische Grafikdesignerin Jessica Walsh ein eindrucksstarkes multimediales Plädoyer für die Lust am Schönen. Das Projekt lotet aus, wovon sich Menschen angezogen fühlen und welche positiven Effekte Schönheit haben kann. Anhand von Beispielen aus den Bereichen Grafik, Produktdesign, Architektur und Stadtplanung demonstrieren Sagmeister & Walsh, dass schöne Objekte, Gebäude und Strategien nicht nur mehr Freude machen, sondern tatsächlich auch besser funktionieren.
Die Moderne hat die Schönheit abgeschafft. Dies ist eine Kernaussage – bezogen auf gestalterische Fragen natürlich. Der moderne Städtebau, die Architektur und das Produktdesign – überall sehen Stefan Sagmeister und Jessica Walsh, wie Gestalter:innen die Schönheit auf dem Altar der Funktionalität geopfert haben. Und funktional ist, was den Zweck erfüllt, und das möglichst billig.
Sagmeister macht den Beginn dieser Entwicklung im frühen 20. Jahrhundert fest, als der Wiener Architekt Adolf Loos 1913 in seinem berühmt gewordenen Vortrag Ornament und Verbrechen alles Schmückende, dem Auge Schmeichelnde als spießig abtat. Die Kunst habe in jenen Jahren die Kategorie des Schönen aus ihrem Reich verbannt.
So treten heute der in Bregenz geborene, in New York lebende Stardesigner mit seiner ehemaligen Agenturpartnerin Jessica Walsh dem Zeitgeist entgegen, die Schönheit als zentralen und funktionalen Aspekt ansprechender Gestaltung erlebbar macht.
Schönheit ist universell
Der Mensch hat ein untrügliches Gespür für Schönheit. Sie ist nichts Beliebiges. Warum haben unsere Vorfahren den Steinbeilen eine symmetrische Form verpasst? Das Werkzeug hätte auch ohne diesen Umriss funktioniert. Weil sie ein natürliches Gespür für die Qualität des Schönen hatten und vermutlich der Glanz des Werkzeugs auch auf seinen Produzenten abgestrahlt hat.
Schönheit hat mit Symmetrie zu tun, mit Form – das Rechteck hat dem Kreis gegenüber das Nachsehen –, mit Farbe. Das „Gespür für Schönheit“ ist bei allen Menschen verinnerlicht. Forschungen der empirischen Ästhetik führen zu erstaunlichen Ergebnissen: Alzheimerpatient:innen zum Beispiel können ihre Liebsten vergessen, das Gefühl für das Schöne verlieren sie jedoch nicht.
Das ästhetische Empfinden ist weniger subjektiv als gemeinhin angenommen. Im Buchkapitel Im Auge des Betrachters werden bemerkenswerte Ähnlichkeiten in verschiedenen Kulturen und Epochen aufgespürt.
Schönheit ist funktional
Schönheit ist keine Oberflächenstrategie, sondern ein Bedürfnis des Menschen. An schönen Orten fühlen wir uns wohler, leben wir besser und auch gesünder. Das Projekt zeigt Beispiele, wie durch gute Gestaltung aus Unorten lebendige Plätze entstanden sind, an denen sich Menschen begegnen, schöne Stunden verbringen oder auch beim Sport schwitzen: Aus einer düsteren Unterführung in New York etwa ist mit Liebe, gutem Willen und etwas Farbe ein hipper Ort entstanden, den Paare für ihre Hochzeitsfotos aufsuchen.
Auch diesem Kapitel fehlt es nicht an einem wissenschaftlichen Beweis: Schönes wirkt unmittelbar auf die Dopaminrezeptoren und damit auf das (Glücks-)Empfinden.
Welchen höheren Wert kann es in der Gestaltung geben? Und wie sähe die Welt aus, wenn sie dem Primat der Schönheit folgen würde? Gäbe es dann noch riesige Mülldeponien mit aussortiertem Ramsch? Auf schöne Dinge gibt man besser acht, denn man wirft sie nicht so schnell weg – manche überdauern gar die Zeit. Museen sind beredte Zeugen davon.
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