Podcaster Rubén Giuliano: „Man hat als Journalist eine Verantwortung gegenüber der Gesprächspartner:in. Journalismus lebt vom Vertrauen. Macht jemand gerne ein Interview mit mir, dann ist das ja schon ein riesiger Vertrauensvorschuss. Dem muss ich gerecht werden.“

YOUNGStar Rubén Giuliano im Gespräch mit Chefredakteur Eckard Christiani

Der Pressehistoriker Robert Eduard Prutz schrieb 1845, dass Journalismus ein Selbstgespräch sei, welches die Zeit über sich selbst führt. Das kommt der Auffassung der modernen Theorie vom Journalismus als permanente Selbstbeobachtung der Gesellschaft als Fremdbeobachtung sehr nahe.

Laut des deutschen Soziologen Max Weber ist der Journalistenberuf die gesellschaftlich bedeutsame Aufgabe des Herstellens von Öffentlichkeit, des Vermittelns von möglichst richtigen und wichtigen Informationen an möglichst viele Menschen. 

Ein bekanntes Zitat von Egon Erwin Kisch (1885 – 1948): „Der Reporter hat keine Tendenz, hat nichts zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt. Er hat unbefangen Zeuge zu sein und unbefangene Zeugenschaft zu liefern.“

Wir trafen gut 100 Jahre später einen Vertreter einer ganz neuen Generation von Journalisten, den YOUNGStar im Medienkosmos, Rubén Giuliano, mit 17 Jahren Politik-Podcaster in Berlin.

Rubén, du bist in sehr jungen Jahren politisch aktiv und machst seit einem Jahr den Podcast Politik mit Stil. Gab es für dein Engagement einen auslösenden Moment?

Den einen auslösenden Moment suche ich bis heute. Was ich aber sagen kann ist, dass ich mit 14 Jahren die Serie House of Cards sehr beeindruckend fand. Das war gleichzeitig der Moment, in dem ich begann, mich mit Politik zu befassen. Ich forschte im Internet, was Politik bedeutet, was Bundestag und was Bundesrat ist,
wer Abgeordnete:r und wer Bundeskanzler:in wird. Damals habe ich mich reingeworfen und angefangen, Nachrichten zu lesen, zu sehen und zu hören. Daraus erwuchs in wenigen Monaten eine richtige Leidenschaft. Irgendwann wurde es so spannend für mich, dass ich einmal hinter die Kulissen gucken wollte. Ich habe einfach ein paar Abgeordnete angeschrieben, ob ich sie einen Nachmittag im Bundestag begleiten könne, um zu sehen, wie alles so vor sich ginge. Erstaunlicherweise ist mir das ein paar Mal gelungen, so dass ich die Abgeordneten besuchen konnte. Seit diesen Treffen ging es in Riesenschritten weiter.

So wie ich 14- jährige kenne, schauen sie nicht House of Cards, sondern Fack ju Göhte und haben ganz andere Probleme. Woher hast du den Mut genommen, die Politiker:innen anzuschreiben?

Darüber habe ich mir ehrlich gesagt keine Gedanken gemacht. Ich wollte einfach wissen, wie Politik funktioniert. Mit 14 Jahren hat man kein Gespür dafür, was Politik konkret bedeutet, wie Dinge konkret entstehen. Man hört vielleicht, dass dies und das in einer Ausschusssitzung besprochen und beschlossen wurde. Als 14-jähriger ist man doch besonders neugierig und fragt dann, wer in diesem Ausschuss sitzt, warum es diesen Ausschuss überhaupt gibt und wie er arbeitet. Mein enormes Interesse an diesen Fragen war sicher dafür verantwortlich, dass ich mir keine Gedanken gemacht habe, ob meine Aktionen peinlich sein könnten oder nicht.

Rubén Giuliano, 17, Podcaster Politik mit Stil und stellvertretender Vorsitzender des Vereins Initiative Jugendparlament.
politik-mitstil.de
initiative-jugendparlament.org

Das Mail-Schreiben war keine besondere Hürde. Als ich allerdings die Abgeordneten zum ersten Mal getroffen habe, war das natürlich sehr aufregend für mich. Nachdem ich die Kontrolle des Bundestages passiert hatte, traf ich tatsächlich dort Sarah Wagenknecht zur linken und ein paar Schritte weiter Jens Spahn. Später habe ich tatsächlich noch Angela Merkel getroffen – ein Tag, wie man ihn sich als Politikinteressierter nur erträumen konnte.

Als ich dann mit den Abgeordneten geredet habe, waren das schon besondere Momente – da war ich schon sehr aufgeregt.

Der Verein Initiative Jugendparlament, dessen stellvertretender Vorsitzender du bist, möchte das Heft in die Hand nehmen und – wie Willy Brandt formulierte – mehr Demokratie wagen. Was beschäftigt euch?

Diese Initiative ist ein echt tolles Projekt, deren Vorsitzender Arian Aghashahi ist, den ich inzwischen als Freund sehr schätze. Er rief mich Anfang des Jahres an, weil er Unterstützung für die Arbeit in den Sozialen Medien brauchte. Seitdem bin ich dabei.

Die Initiative Jugendparlament setzt sich durch die Umsetzung einer Reihe von verschiedenen Projekten für die Stärkung der politischen Partizipation junger Menschen ein. Die Unterstützung kann fachlicher oder finanzieller Art sein. Einerseits werden wir durch die Europäische Union gefördert, zum anderen haben wir viele Mitglieder aus den verschiedensten Bereichen – Medien, Webentwicklung, Politikwissenschaft usw.

Unser vorläufiges Ziel ist, Jugendparlamente auf kommunaler Ebene in ganz Deutschland zu initiieren. Unser größeres Ziel, das wir auch in den nächsten Monaten anstreben, ist, ein Landesjugendparlament in Nordrhein Westfalen zu gründen, das konkrete politische Macht hat. Also ein echtes Jugendparlament, das nur von Jugendlichen gewählt wird. Alles, was in diesem Landesjugendparlament beschlossen wird, muss auch in irgendeiner Weise Einfluss haben auf die jeweilige Landesregierung.

Ganz langfristig gedacht wäre es natürlich toll, wenn wir ein Bundesjugendparlament hätten, das dann konkrete politische Macht im Bund hätte. Das sind die Aufgaben, die wir uns gestellt haben. Das ist im übrigen viel sinnvoller, als wenn wir darüber sprechen, das Wahlalter zu senken, denn so kann ein 14- oder 16-jähriger schon konkret Politik machen. Das ist mehr, als wenn er nur wählen kann.

Mit deinem Podcast bist du schon ein alter Hase auf der politischen Bühne. Wen hattest du schon vor deinem Mikrophon oder anders gefragt, welche Begegnung hat dich maßgeblich beeindruckt? Ich weiß, dass du den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble, schon vor dem Mikro hattest.

Da müssen wir unterscheiden: Wolfgang Schäuble habe ich für die CDU / CSU-Fraktion interviewt. Im September 2020 bekam ich die tolle Chance von der Kommunikationsleitung der Fraktion, während einer Fraktionsvorstandsklausur eine Live-Moderation zu machen. Daraufhin wurde ich noch ein paar Mal für Interviews angefragt – eben auch für Wolfgang Schäuble. Die Interviews kann man heute noch auf den Fraktionskanälen sehen.

Den Podcast Politik mit Stil habe ich im November 2020 gegründet. Inzwischen sind über 120 Interviews im Kasten. Das sind 120 Persönlichkeiten, die ich zu den verschiedensten Themen befragt habe. Jemanden herauszupicken, der mich besonders beeindruckt hat, fällt mir schwer.

Journalist Karl Kraus (1847 – 1936) nimmt die Eitelkeiten seiner Kollegen auf den Arm, wenn er sagt: Ein Journalist ist einer, der nachher alles vorher gewusst hat. Muss sich der Journalist nicht eher mehr zurücknehmen?

Auf alle Fälle. Ich versuche als Podcast-Moderator sehr neutral zu sein. Ich traue mich von der Links-Partei bis zur AfD zu allen und versuche, alle Protagonist:innen wirklich einmal reden zu lassen und Freiraum zu geben. Bei einem Zeitungsinterview ist es eher so, dass der Mensch irgendwie gefärbt rüberkommt. Das kann und wird stark durch Journalist:innen beeinflusst. Beim Podcast lerne ich den Menschen so kennen, wie er ist. 

Prof. Maren Urner bedauert die letzten Entwicklungen in den digitalen Medien und glaubt, dass die Zukunft im Konstruktiven Journalismus liegt. Siehst du das auch so? Worin liegen für dich die Aufgaben des Journalismus der Zukunft?

Meine journalistische Ernährung ziehe ich aus den Zeitungen und aus dem Fernsehen, aber auch aus Social Media Beiträgen. Ernährt man sich hauptsächlich in Insta-Slides, reichert man nur oberflächliches Wissen an. Daraus entstehen Diskussionen und Meinungen, die nicht fundiert sind.

Es ist wichtig, die alten Basismedien weiterhin wertzuschätzen, denn sie ermöglichen einen tieferen Einstieg in die Themen. Allerdings liegt es zurzeit bei diesen Medien, sich für die Leser:innen attraktiver zu machen. Gefährlich ist – und das sehe ich in meiner Generation –, dass fast niemand mehr Zeitung liest. Das ist schädlich für unsere Diskussionskultur.

Wenn ich mir dich angucke, mache ich mir keine Sorgen um den Journalismus der Zukunft. Was denkst du, wohin dich dein Weg führt?

Da bin ich sehr offen. Ich bin 17 und habe noch anderthalb Jahre in der Schule. Aber die jetzige Phase schätze ich sehr: Ich mache meine Podcasts und bin hier im Bundestag für einen Abgeordneten tätig. Das sind alles Eindrücke, die ich sammle und die mich begeistern. Es bieten sich immer wieder neue Wege, die man einschlagen kann. 

Rubén, vielen Dank für deine Zeit und unser Gespräch.

Das Gespräch führte ich für die neunte Ausgabe der Passion, dem Medienmagazin von BerlinDruck.