Alev, in deinem Interview für den ADC habe ich gehört, dass du als Kind Nachrichtensprecherin werden wolltest. Wie war dein Weg von diesem „ersten Berufswunsch“ auf das Redaktionsschiff PioneerOne?

Nachrichtensprecherin war ich nur als Kind (lacht). Nachrichten zu gucken, war für uns zu Hause ein familiäres Happening, weil wir türkische Nachrichten geschaut haben, um zu erfahren, was in der Heimat passiert ist. Wir versammelten uns alle vor dem Fernseher – ein klassisches Lagerfeuergefühl. Ich saß tatsächlich immer auf dem Teppich, hatte eine Zeitung in der Hand und habe so getan, als ob ich Nachrichten vorlese. Die Erinnerung daran kam mir spontan bei der Frage, was ich eigentlich als Kind werden wollte. Danach kam aber noch jede Menge anderes. Ich meinte auch einmal, ich müsse Sängerin werden. Ein anderes Mal wollte ich Ärztin werden. Und Jura habe ich auch studiert.

Die aus Bad Honnef stammende Alev Doğan studierte Politikwissenschaften an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Nach dem Studium hat die 31-jährige Journalistin für Regionalzeitungen wie den General-Anzeiger, die Kieler Nachrichten und die Rheinische Post gearbeitet. Vom Fachblatt Medium Magazin wurde Doğan zu den zehn besten regionalen Reporter:innen im Land gewählt. Sie verstärkt seit April 2020 als Chefreporterin das Team von Media Pioneer in Berlin. Ihr Lieblingsprojekt ist ihr Podcast Der 8. Tag – Deutschland neu denken. Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage

Zur PioneerOne kam ich auf einem sehr konventionellen Weg – eine durchaus gradlinige journalistische Laufbahn. Ich habe als Praktikantin und dann als freie Mitarbeiterin beim Bonner General-Anzeiger angefangen. Nach meinem Studium arbeitete ich dort als freie Autorin. Danach habe ich bei den Kieler Nachrichten und beim RND Redaktionsnetzwerk Deutschland volontiert, wurde übernommen und schrieb über landespolitische Themen. Bei der Rheinischen Post arbeitete ich als Politikredakteurin – Essays, Kommentare, Analysen und Leitartikel. 

Mein Chef bei der Rheinischen Post, Michael Bröcker, wechselte Ende 2019 zu Media Pioneer. Es hat nicht sehr lange gedauert, bis er anrief und mich fragte, ob ich Lust auf Berlin hätte und darauf, das Kernteam von ThePioneer mitaufzubauen. 

Berlin war eigentlich nie auf meinem Zettel. Ich bin eher dem Rheinland verbunden, wo ich auch geboren wurde. Darüber hinaus hätte ich mir noch Hamburg gut vorstellen können. Aber die Aussicht darauf, so ein Medienunternehmen von Anfang an mitaufzubauen, mitzuprägen, war letztlich so attraktiv, dass ich heute in Berlin lebe. Ich dachte damals, dass ein solches Angebot in dieser Medienbranche nicht so schnell noch einmal kommen würde. Und jetzt sind’s zwei Jahre.

Eckard Christiani im Gespräch mit Alev Doğan

Was ist das Besondere, Journalistin zu sein? 

Menschen kennenzulernen – ganz klar! Letztlich geht es im Journalismus darum, die Welt zu verstehen, in der wir leben. Das ist eigentlich eine unwahrscheinlich transdisziplinäre Geschichte. Wir setzen uns als Politikjournalist:innen in erster Linie natürlich politisch, aber auch psychologisch, soziologisch und philosophisch mit der Welt auseinander. Die Welt? Das sind Menschen, und ich finde Menschen interessant. Menschen kennenzulernen, Menschen zu verstehen. Und dann natürlich die Transferleistung, die Journalist:innen erbringen, eben nicht nur das für sich zu verstehen, sondern dann auch zu erzählen und zu informieren. Und dafür Geld zu bekommen, empfinde ich als Privileg.

Und dann noch, auf einem Schiff zu arbeiten …

(lacht) … das kommt noch erschwerend hinzu! Am Anfang dachte ich, okay, das klingt so ein bisschen nach größenwahnsinnigen Männern. Mich hatte das nicht getriggert und auch nicht so richtig interessiert. Ich glaube, dass Männer prinzipiell mehr darauf abfahren. Dann aber habe ich verstanden, worum es geht. 

Auf der einen Seite geht es natürlich um die Frage, wie eine Medienmarke etabliert werden kann. Eine Marke ist dann etabliert, wenn ich die Augen schließe, den Namen höre und ein Bild vor Augen habe. Wenn ich vom Spiegel höre, sehe ich die Lettern, wenn ich Die Zeit höre, ebenso. Wenn es um die Tagesschau geht, höre ich schon die Anfangsmelodie. Wie schaffe ich so etwas mit einer neuen Medienmarke? Mit einem Schiff an den Start zu gehen, sorgt natürlich dafür, dass es nicht so furchtbar lange dauert, bis sich da ein Bild etabliert hat. 

Das andere ist natürlich, dass das Schiff symbolisch mit der Mission aufgeladen ist, im Regierungsviertel zu patrouillieren und gleichzeitig auch eine transparente Plattform zu bieten für den Journalismus, den wir machen wollen. Das ist einer, der eben mehr auf Augenhöhe ist mit unseren Leser:innen, Hörer:innen und Zuschauer:innen. Jeder Pioneer kann aufs Schiff. Das ist die Idee eines Club-Hauses.

Auch wenn es logistisch herausfordernd ist, auf einem Schiff zu arbeiten, weil es jede:n in der Flexibilität enorm einschränkt, macht es natürlich auch Spaß. Für jemanden, der Ästhetik liebt, bietet Berlin vom Wasser aus gesehen eine sehr schöne Arbeitsatmosphäre. Wir sind täglich ab zwölf Uhr dreißig im Regierungsviertel unterwegs, fahren einstündige Touren, jeweils unterbrochen für eine halbe Stunde.

Was bedeutet es für dich, den Podcast Der 8. Tag – Deutschland neu denken zu machen? 

Für mich persönlich war das tatsächlich eine totale Veränderung. Ich bin übers Schreiben an den Journalismus gekommen, übers Geschichtenschreiben. Über alle Stationen war Schreiben mein Ding. Den Podcast Der 8. Tag zu machen, war für mich der Sprung ins kalte Wasser. Zu Beginn – am Anfang der Corona-Pandemie – war Der 8. Tag Gabor Steingarts Podcast. Wir hatten damals das Bedürfnis, als wir alle ein Stück weit überfordert waren von den täglichen Zahlen – tägliche Todeszahlen, Inzidenzen, R-Wert –, aufzuklären, was da gerade passiert. Gleichzeitig hatten wir das Gefühl, immer noch nicht richtig verstanden zu haben, was geschieht und auch was passieren wird. Also wollten wir dieser tagesaktuellen Krisensituation ein Format entgegenstellen, das uns jeden Abend so ein bisschen pausieren hilft und – unabhängig von den Zahlen – fragt, was passiert eigentlich gerade in dieser Krise und darüber hinaus – sinnbildlich Der 8. Tag. Womit werden wir aus dieser Krise rausgehen? 

Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage

Der Podcast war dann tatsächlich so erfolgreich, dass wir ihn nach dem ersten akuten halben Jahr nicht beendet haben, sondern entschieden haben, noch größer weiterzumachen. Wir befreiten ihn vom Corona-Korsett und planten, Deutschland gesamtgesellschaftlich neu zu denken. Wir nehmen uns den Luxus – ich empfinde das tatsächlich als solchen –, uns jeden Abend ca. eine halbe Stunde lang hinzusetzen – frei und unabhängig vom tagesaktuellen Geschehen – und nachzudenken. Natürlich hat es immer eine gewisse Aktualität. Aber wir wollen über den Tellerrand hinausschauen, nicht nur informieren oder kritisieren, sondern inspirieren und auf allen gesellschaftlichen Feldern zum Weiterdenken animieren. 

Dass mir der Podcast wirklich so viel Spaß macht, ich ein Audio-Medium verantworten und es irgendwann so sehr mein Baby würde, mit dem ich mich so sehr identifiziere, hätte ich am Anfang nicht erwartet. Gott sei Dank ist der Podcast sehr erfolgreich.

Welche Interviewpartner:innen sind dir in Erinnerung geblieben? Wer hat dich am meisten beeindruckt?

Tatsächlich wirklich alle, bei denen ich viel gelernt habe. Ich hatte glücklicherweise auch großen Namen: Es war natürlich ein Highlight, mit Ferdinand von Schirach zu sprechen. Es war toll, zum Beispiel mit den erfolgreichen Buchautoren Sebastian Fitzek und Martin Suter zu sprechen. Mit Fitzek haben wir vierzig Minuten lang über Vergänglichkeit gesprochen. Einem solchen Thema so viel Raum zu bieten, ist wirklich Luxus. Aber oft waren es die unbekannten Namen, von denen ich wahnsinnig viel gelernt habe: ob es Saskia Bruysten war, die Social Business macht, die in Regionen, die von Armut betroffen sind, Kleinstunternehmen unterstützt. Das war für mich wahnsinnig inspirierend. Oder ob das die Umweltmedizinerin Professorin Claudia Traidl-Hoffmann war, die ganz genau erklären konnte, welche Auswirkungen der Klimawandel nicht nur auf die Umwelt – ganz zu schweigen von der Biodiversität –, sondern ganz direkt auf uns persönlich, auf unsere Gesundheit hat. Oder ein Astrophysiker, der mir erklärt hat, warum das Entdecken des Schwarzen Lochs eigentlich so revolutionär für die gesamte Physik war. Ich habe so viel gelernt. Interessant sind Menschen, die tief in ihren Themen stecken. 

Hast du das Gefühl, dass es Gespräche gab, aus denen du für dich persönlich etwas mitgenommen hast, die dich wirklich verändert haben?

Im Endeffekt aus allen Gesprächen, die sich um Psychologie und Philosophie drehten. Neben dem Journalismus sind Literatur und Philosophie meine Lieblingsthemenfelder. Wie gehen wir persönlich mit Depressionen um? Wie gehen wir als Gesellschaft mit mentaler Gesundheit und mentalen Krankheiten um? Am Ende unserer Gespräche ging es in achtzig Prozent der Fälle darum, welches Menschenbild wir haben. Haben wir eins, das bei den kapitalistischen Neoliberalen in all seinen Strukturen reinpasst oder haben wir eigentlich ein anderes, und sollten wir nicht lieber das unterstützen? Das hat sehr viel damit zu tun, wie ich die Welt wahrnehme. Und wo ich immer wieder das Gefühl habe, dass wir uns in etwas verrennen und Scheuklappen aufhaben, ohne es zu bemerken. 

Aus allen Gesprächen eigentlich, bei denen die Gesprächspartner:innen offen waren und Schubladen sprengten. Das ist immer das Beste, wenn man vorher denkt, man wüsste, wer diese Person ist, und man wüsste, welche Position sie vertritt, und dann kommt sie ins Studio und sagt Dinge, die man zunächst einmal gar nicht erwartet hat. Vielleicht noch nicht einmal mit dieser Person vereinbaren kann. Und dann fragt man natürlich nach, und der scheinbare Widerspruch löst sich auf. Oder man merkt, dass Widersprüche okay sind und dass wir vielleicht wieder lernen müssten, sie zuzulassen. Ambiguitätstoleranz ist die Kompetenz, die uns im Moment sehr, sehr helfen würde und von der wir zu wenig haben: anzuerkennen, dass es gesellschaftliche Widersprüche gibt. Widersprüche finden wir eben auch in den Menschen, was okay ist. Wir müssen nicht immer fertig sein, sondern können auch mit offenen Fragen leben.

Es ist ja durchaus ein weites Feld, das ihr beackern könnt. Wie wählt ihr die Themen und die Menschen, die ihr interviewen wollt, aus?

Es ist für uns das Wichtigste, dass wir im Podcast Der 8. Tag niemals nur auf der Stufe bleiben, den Status quo zu kritisieren. Bei uns geht’s darum, über die Stufe des Jammerns hinauszukommen, entweder Visionen zu skizzieren – wo wollen wir eigentlich hin? –, vielleicht eine Forderung aufzustellen, vielleicht aber auch nur eine Prognose zu wagen oder Dinge, die alle schon wissen, aus einer neuen Perspektive zu beleuchten. 

Man muss für Der 8. Tag kein Promi sein, aber Expert:in in seinem oder ihrem Feld. Und man muss Lust haben auf ein ergebnisoffenes Gespräch. Das ist auch vielleicht ein Unterschied zu anderen Talkformaten: Wir sind weniger ein Interviewformat, in dem der Gast nur sendet. Der Gast muss eine Idee oder eine These haben, und mit dieser soll und darf er in ein offenes Gespräch gehen. Es geht darum, diese Person zu verstehen, aber auch – und das erfordert Mut – sich einem Gespräch zu öffnen. Ich führe Gespräche im besten Sinne. Ich spreche immer von einer Kamingesprächsatmosphäre. Es soll wirklich darum gehen, dass sich zwei Menschen über ein Thema unterhalten und dass beide auch authentisches Interesse daran haben. Was ich nicht mache, ist, irgendwelche Politiker:innen einzuladen und nach Agenturmaterial zu suchen. Im Gegenteil: Man soll am Ende inspirierter und wissender herausgehen, als man reingegangen ist. 

Welches von all den Umbruchthemen oder gesellschaftlichen Themen interessiert dich persönlich am meisten?

Mich persönlich interessiert tatsächlich alles, was mit dem menschlichen Umgang miteinander zu tun hat. Wie gehen wir eigentlich miteinander um? Ich bin nicht konservativ, was meine politische Ausrichtung angeht – eher das Gegenteil. Was mir aber sehr wichtig ist, sind gewisse Werte. Mir fehlt oft der Anstand im Umgang miteinander. Damit meine ich nicht Benimmregeln, sondern den Respekt, den man seinem Gegenüber und dessen Meinungen entgegenbringt – immer davon ausgehend, dass er eventuell recht haben könnte, auch wenn er etwas anders sieht als man selbst. Diese Dialogbereitschaft, dieses Wertschätzen des anderen und auch das Akzeptieren anderer Meinungen, wie wird das besser? Wie können wir so etwas kultivieren und lernen, besser zu streiten? Das sind so Dinge, die mir wichtig sind.

Darüber hinaus engagiere ich mich seit einiger Zeit im Verein coach@school, ein tatsächlich sinnvolles Projekt: Seit 2016 setzt sich der Verein für mehr Chancengleichheit im Bildungssystem ein. In Zeiten, in denen sozialer Status, Hautfarbe, Herkunft und Sprache als gesellschaftsspaltende Kriterien missbraucht werden, will coach@school e. V. gesellschaftliche und sprachliche Vielfalt fördern.

Alev, vielen Dank für dieses Gespräch!